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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ihren Körper zu dehnen und ein wenig mit Armen und Beinen herumzuplantschen.
    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sikki stand mit einem ausgebreiteten Seidentuch bereit, als Betty aus der Rosenblüte herausstieg, und sie trocknete sie so sorgfältig ab wie ein Kind. In einer Messingschale über einer Kerze war unterdessen ein weiteres Öl warm geworden, das Sikki in Bettys Haut einmassiert hatte, bevor sie protestieren konnte. Alle Müdigkeit war jetzt wie weggeflogen. Sie fühlte sich, als ob sie schwebe.
    »Werden Sie noch ausgehen oder soll ich Sie für die Nacht ankleiden? Und wenn Sie noch ausgehen, wollen Sie dann ein indisches Kleid tragen oder eines von den Ihren, Miss?«
    Betty wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie konnte nicht weiterdenken als bis zum nächsten Augenblick. Ihr Schweigen deutete Sikki offenbar als Aussage. »Ich habe gesehen, dass Sie ein wunderbares hellblaues Sommerkleid im europäischen Stil mitgebracht haben. Wir haben es...«, sie schien nach einem Wort zu suchen, »... wir haben uns erlaubt, es etwas zu erfrischen. Es wäre auch vom Stoff her perfekt für diese Nacht. Es ist immer noch etwas kühl draußen.«
    Letzteres konnte Betty sich zwar überhaupt nicht vorstel
len, aber sie nickte. »Gut, dann nehme ich das hellblaue.« Sie konnte sich genau erinnern, wie der müde Schneider es ihr in Aberdiras Wohnung angemessen hatte, das war auch mitten in der Nacht gewesen. Wie der Himmel sähe sie darin aus, hatte er gesagt. Aber das traf sicherlich nicht für diesen Himmel hier zu, denn der war nicht blau, sondern von einem schimmernden Grün.
    Sikki hatte ihr die Haare in der warmen Nachtluft gebürstet, bis sie trocken und glatt waren, und sie dann mit Bettys letzter verbliebener Silberspange hochgesteckt. Das hellblaue Kleid passte jetzt perfekt.
    Als sie endlich fertig waren und Sikki sie vor den großen Spiegel in ihrem Ankleidezimmer schob, mochte Betty zunächst gar nicht die Augen öffnen. Wie lange hatte sie nicht in einen Spiegel gesehen? Sie hatte nur noch eine undeutliche Erinnerung an die ausgezehrte Gestalt, die in der Wohnung von Aberdira an den Flurspiegeln vorbeigehuscht war und meist den Kopf gesenkt hielt. Auch auf der Frieda Maria, in der Kabine des Schiffseigners, hatte es keinen Spiegel gegeben, an diesem Ort war man wohl nicht auf weibliche Passagiere eingestellt gewesen. Nun aber sah Betty, dass sie sich verändert hatte. Ihr Gesicht war schmaler geworden und die grünen Augen schienen noch größer zu wirken. Das große Kind, das sie in ihrem eigenen Spiegel zu Hause in Emden zuletzt gesehen hatte, gab es nicht mehr. Betty sah in die Augen einer sehr jungen und gleichwohl etwas blassen Frau.
    Sikki bot an, sie durch den Garten zum Haus von Mister Jocelyn zu führen. Der Garten sei zwar bewacht, aber es sei nicht gut, wenn sie des Nachts allein hindurchginge. Mister Jocelyn habe das eigens angeordnet.
    Betty spürte, wie sich ein Hauch von Trotz in ihr regte. »Ich bin auch allein von Hamburg nach Indien gereist.«

    »Mister Jocelyn war deswegen auch außer sich vor Sorge. Sie ahnen nicht, wie viele ausländische Gesandte sich hier einfinden mussten, um Nachricht von Ihnen zu geben. Aber niemand wusste etwas. Es ist, als würde die Frieda Maria als Geisterschiff über die Meere segeln, hat Mister Jocelyn gesagt.« Sikki lächelte Betty an. »Unser Park hier ist zwar eingezäunt, aber damit möchte Mister Jocelyn vor allem die Tiger fernhalten. Er ist kein Inder, wie Sie wissen, er pflanzt hier nur Tee. Es heißt, er habe eine chinesische Mutter und einen britischen Vater. Wenn er ein Inder wäre, würde er sich den teuren Zaun sparen und lieber Speerwerfer aufstellen, die den Tiger erlegen, wenn denn überhaupt einmal einer kommt. Das möchte Mister Jocelyn aber nicht. Er findet, dass der Tiger dann im Nachteil wäre.« Sikki seufzte. »Dabei könnte Dayun jeden noch so wilden Tiger mit den bloßen Händen töten. Und selbstverständlich könnte Mister Jocelyn es auch selbst. Aber das möchte Mister Jocelyn ebenfalls nicht.«
    Betty lachte auf. »Wäre der Tiger dann auch im Nachteil?«
    Sikki wurde ernst. »Oh ja, Miss, das wäre er.«
    »Und warum soll ich dann nicht allein durch den Garten gehen?« Weit war der Weg schließlich nicht, das hatte sie schon bei der Ankunft gesehen. Es waren keine dreihundert Fuß.
    Sikki zuckte mit den Schultern. »Mister Jocelyn hat angeordnet, dass wir Ihnen nichts von der Tierwelt hier erzählen, vor

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