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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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hinausblickte, sah sie einen rosafarbenen Morgenhimmel, vor dem bereits einer ihrer beiden Ochsenkarren wieder mit ihrem Gepäck beladen wurde. Der kleine Ort Carragola lag noch in tiefem Schlummer, als sie aufbrachen.
    Sie erreichten Siliguri am Abend des fünften Tages.

6
    Das kleine Gasthaus lag am Eingang des Dorfes. Nach drei Nächten in eigens für sie aufgebauten Zelten am Straßenrand und in einer von Faltern umflatterten Hütte fürchtete Betty, dass sie auch hier keinen Schlaf finden würde. Das Zimmer war klein, aber sauber. Nach den Tagen auf dem Ochsenkarren und ohne Wasser und Seife fühlte Betty sich darin wie ein Fremdkörper. Ihr Kleid war zerknittert und an den Seiten schon fast grau. Ihre Haare hatten sich in der feuchtwarmen Luft mehr und mehr gelockt und waren nun schwer und kaum noch zu bändigen. Sie legte sich vorsichtig auf das Bett, aber es wäre ohnehin zu heiß gewesen, um sich mit der leichten Decke zuzudecken. Erst gegen Morgen kam ein leichter kühler Hauch von den Bergen herunter. Duftete er wirklich ein wenig nach dem Schnee des Himalaya oder war das nur Einbildung?
    Ein schmaler Streifen Dämmerlichtes drang durch die geschlossenen Läden. Betty zog ihre Schuhe an und tappte zum Fenster, um die schweren Läden aufzustoßen. Fast hätte sie aufgeschrien. Das Haus lag fast direkt auf einer Hügelkuppe und es blickte in ein weites grünes Tal. Am Ende dieses Tales aber ragten grün bewachsene Berge empor, so hoch, dass sie fast die schweren zartlilafarbenen Morgenwolken berührten, die darüberhingen. Die aufgehende Sonne schimmerte in kleinen Bächen und Flüssen und schien silbrige Wege in die Berge zu zeichnen. Vor ihr, an einem der höchsten Höhenkämme, lag Darjeeling. Glitzerten die Dächer der Häuser? Konnte man sie überhaupt erkennen? Betty wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
    Die Familie, bei der sie untergekommen war, hatte sich anscheinend vorgenommen, Betty für den Rest des Weges besonders
auszustatten. Die beiden schweren Ochsen hatten offenbar schon am Vorabend wieder umdrehen dürfen. Nun standen zwei Gefährte vor der Tür, die sie Tongas nannten, leichte zweirädrige Pferdekutschen, die von schmalen Pferden gezogen wurden. Bettys Gepäck quoll bereits aus dem einen Tonga, im anderen stapelten sich Wasserkrüge und ein riesiger Picknickkorb. Wenn Betty nicht neben dem Ponyführer hertraben wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf den winzigen Platz daneben zu quetschen. Offenbar hatten sich alle Dorfbewohner versammelt, um diesem Schauspiel beizuwohnen. Es war schon schwer genug, sich auf der schwankenden Kutsche stehend überhaupt umzudrehen, aber Platz nehmen konnte Betty nicht. Vielleicht lag es auch an den beiden Unterröcken, die sie trug. Der Stoff war gut und dementsprechend dick. Sie quetschte und drückte und schob. Einer der Hausbewohner erschien und stellte den Picknickkorb schräg hin. Betty konnte sich immer noch nicht setzen.
    Plätze in Kutschen wie dieser konnten vielleicht von zarten Geschöpfen wie Ava eingenommen werden, dachte Betty. Für eine wie sie aber waren sie nicht gemacht. Sie fühlte, wie eine leise Wut in ihr hochstieg. Die Dorfbewohner, die unterdessen, angefangen vom Baby bis zum Greis mit Gehstock, komplett versammelt waren, nickten ihr zu. Betty verzog das Gesicht zu einem Lächeln. Sie hatte das Gefühl, dass man über sie lachte.
    Da erschien ein Diener und stellte den Picknickkorb unter dem Gefeixe der Zuschauer hochkant auf eine Seite. Die Hausfrau rang die Hände. Nein, wenn der Picknickkorb hochkant stehen sollte, musste er zunächst anders gepackt werden. Aber nicht hier. Zum Schimpfen fiel sie vom Englischen in ihre eigene Sprache. Drinnen im Haus müsse er neu gepackt werden, wedelte die Sprache ihrer Hände.

    Als die Tonga schließlich reisefertig war und Betty würdig neben dem Picknickkorb saß, der während der kommenden 24 Stunden auf ihre linke Hüfte drücken würde, war es bereits heller Morgen und die Hühner begannen, auf der Straße herumzupicken. Einen Kutscher gab es bei diesem Gefährt nicht. Vielmehr lief ein Ponyführer neben den Tieren her und hielt sie am kurzen Zügel.
    Der Weg war breit und offenbar von den Engländern gut ausgebaut, aber er war steiler als alles, was Betty sich bislang vorgestellt hatte. In einigen der Straßenkehren schien das eine Rad des Tongas fast über dem Abgrund zu schweben, während das andere über die staubige Straße kratzte. Der Blick verlor sich

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