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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Verdienst bildete den Löwenanteil ihres Einkommens. Davon bezahlten sie die Miete, kauften Kleider und das meiste des Essens. Von Kates und Fionas Verdienst wurden Kohle und Haushaltsartikel gekauft wie Schuhcreme, Lampenöl und Streichhölzer. Wenn Paddy oder Charlie krank wurden oder die Arbeit versäumten, mußten alle darunter leiden. So war es in allen Häusern im Osten von London – die Männer bekamen das Fleisch und die Frauen, was übrigblieb.
    Kate hörte wieder Charlies polternde Schritte auf der Treppe.
    »Er ist nicht da, Ma«, sagte er, als er zum Tisch zurückkam. »Sieht auch nicht aus, als hätte er hier geschlafen.«
    »Das ist komisch«, sagte Paddy.
    »Und da steht sein Essen und wird kalt«, jammerte Kate. »Fiona, gib’s mir rüber, ich stell’s wieder ins Backrohr. Wo ist er denn? War er denn heute morgen nicht da, Paddy?«
    »Nein, aber gewöhnlich kommt er nicht heim, bevor ich fortgeh, also hätte ich ihn ohnehin nicht getroffen.«
    »Ich hoffe nur, daß es ihm gutgeht. Daß ihm nichts passiert ist.«
    »Ich schätze, dann hätten wir inzwischen was gehört«, antwortete Paddy. »Vielleicht ist jemand von der nächsten Schicht krank geworden, und er ist eingesprungen. Du kennst doch Roddy, er kommt schon wieder.«
    Roddy O’Meara, der Untermieter der Finnegans, war kein Verwandter der Familie, dennoch nannten die Kinder ihn Onkel. Er war mit Paddy und Paddys jüngerem Bruder Michael in Dublin aufgewachsen und zuerst mit ihnen nach Liverpool und dann nach London gezogen, wo er mit Paddy blieb, während Michael nach New York weiterfuhr. Er kannte die Finnegan-Kinder schon ihr ganzes Leben lang – hatte sie auf den Knien geschaukelt, sie vor üblen Burschen und bösen Hunden beschützt und ihnen abends vor dem Kamin Geistergeschichten erzählt. Er stand ihnen näher als ihr wirklicher Onkel, den sie nie gesehen hatten, und sie vergötterten ihn.
    Kate seihte den Tee ab und setzte sich. Paddy sprach das Dankgebet, und die Familie begann zu essen. Sie ließ den Blick über ihre Kinder schweifen und lächelte. Wenn sie aßen, waren sie still. Jetzt herrschte vielleicht tatsächlich ein paar Minuten lang Ruhe. Charlie futterte mit wilder Hast. Er bekam nie genug. Er war nicht groß gewachsen, aber kräftig für seine sechzehn Jahre, breitschultrig und genauso zäh und rauflustig wie die Bullterrier, die sich einige in der Nachbarschaft hielten.
    »Gibt’s noch Kartoffeln, Ma?« fragte er.
    »Auf dem Herd.«
    Er stand auf und häufte sich nochmals Kartoffeln auf seinen Teller. Genau in dem Moment ging die Vordertür auf.
    »Roddy, bist du das?« rief Kate. »Charlie, hol den Teller von deinem Onkel …« Sie brach ab, als Roddy in der Tür erschien. Fiona, Paddy und sogar Seamie hörten zu essen auf und sahen ihn an.
    »Mein Gott!« rief Paddy aus. »Was ist denn mir dir passiert?«
    Roddy O’Meara antwortete nicht. Sein Gesicht war aschfahl. Er hielt seinen Polizeihelm in der Hand, und seine Jacke stand offen, auf deren Vorderseite ein dunkelroter Fleck zu sehen war.
    »Roddy, mein Junge … sag doch was!« begann Paddy.
    »Wieder ein Mord«, antwortete Roddy schließlich. »In der Bucks Row. Eine Frau namens Polly Nichols.«
    »Mein Gott«, seufzte Paddy. Kate stöhnte auf. Fiona und Charlie starrten ihn mit aufgerissenen Augen an.
    »Sie war noch warm. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was er getan hat. Das Blut – es war überall. Überall. Ein Mann hat die Leiche kurz vor Sonnenaufgang auf dem Weg zur Arbeit gefunden. Ich hab ihn gesehen, wie er schreiend die Straße runtergerannt kam. Er hat die ganze Gegend aufgeweckt. Ich bin mit ihm zurückgegangen, und da lag sie. Mit durchschnittener Kehle. Und aufgeschlitzt wie ein Tier im Schlachthaus. Ich hab mich gleich übergeben müssen. In der Zwischenzeit ist es heller geworden, und Leute sind zusammengelaufen. Ich hab den Mann zum Revier runtergeschickt, um Hilfe zu holen, und bis die kam, hatte ich’s fast mit einem Aufstand zu tun.« Roddy hielt inne und strich sich mit der Hand über das erschöpfte Gesicht. »Ich durfte die Leiche nicht bewegen, bis die Detectives, die den Fall bearbeiten, eingetroffen waren. Und der Polizeiarzt. Als sie fertig waren, hatten wir eine ganze Mannschaft draußen, um die Leute zurückzuhalten. So wütend waren die. Wieder eine Frau ermordet. Dieser Bursche spielt Katz und Maus mit uns.«
    »Das behaupten die Zeitungen«, sagte Paddy. »Und wie selbstgerecht sie sind. Ewig schwadronieren sie, daß der

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