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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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und den Namen der Farbe, die sie im Auge hatte, und Ian und Robbie erklärten sich bereit, sie zu holen. Sie sagte, die Wände müßten vor dem Streichen abgewaschen werden, und nahm einen Eimer mit Seifenwasser, krempelte die Ärmel hoch und begann gleich damit. Fiona wollte es ihr ausreden, aber sie zuckte die Achseln und meinte, wenn sie es nicht täte, müßte sie mit ihrem Mann weiterarbeiten, und da wäre es ihr, ehrlich gesagt, lieber, die Wände abzuwaschen. Nate tat so, als wäre er eingeschnappt, griff sich einen Lappen und fing an, die Türklinke zu polieren. Nick griff sich begeistert, wenn auch ungeschickt, einen Mop und begann herumzuwischen, schaffte es aber nur, den Schmutz auf dem Boden zu verteilen.
    Als sie ihn auslachten, spürte Fiona, daß die Last auf ihren schwachen Schultern ein wenig leichter wurde, und zum erstenmal seit sie in New York angekommen waren, fühlte sie sich glücklich, wirklich glücklich. Vielleicht war alles nicht so gekommen, wie sie es sich erhofft hatte, vielleicht hatte sie keinen Onkel, der ihr half, aber sie hatte die wundervollen Munros, vor allem Mary, die ihr soviel Mut machte. Und daß ihr lieber Nick hier war und ihre neuen Freunde – die alle ihren eigenen Träumen nachjagten –, munterte sie auf, beflügelte sie, und sie faßte neuen Mut. Wenn Maddie und Nate alles für ihr Geschäft riskierten, wenn Nick den Versuch machte, eine Galerie zu eröffnen, dann konnte sie es doch auch wagen, diesen Laden aufzumachen.

   26   
    G uten Tag, Mr. Ellis, ich bin Fiona Finnegan …«Zu kleinlaut, dachte Fiona, als sie nervös im Vorzimmer des Bankdirektors auf und ab ging und ihre Schritte auf dem Marmorboden hallten. Wohin sie auch sah, überall war kalter, glänzender Marmor, am Boden, an der Decke, nur an den Wänden nicht. Die waren mit Bildern von alten holländischen Kaufleuten bedeckt. Eine Gruppe entlud ein Schiff, eine andere eröffnete einen Laden, eine dritte kaufte mit Arm- und Halsbändern den Indianern Manhattan ab. Sie versuchte es noch einmal. »Ich bin Fiona Finnegan. Guten Tag, Mr. Ellis …« Immer noch nicht gut. »Mr. Ellis, nehme ich an. Ich bin Fiona Finnegan. Guten Tag …«
    »Wollen Sie sich nicht setzen, Miss Finnegan?« fragte Mr. Ellis’ Sekretärin, eine Miss A.S. Miles, wie ihr Namenschild besagte. »Es kann noch einen Moment dauern.«
    Fiona zuckte zusammen. »Nein. Nein, danke«, antwortete sie und lächelte sie unsicher an. »Ich stehe lieber.« Ihre Hände waren kalt, und ihre Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.
    Sie trug ihre besten Kleider – einen schokoladenfarbenen Rock und eine Bluse mit Nadelstreifen – und hoffte, sie würden ihr Selbstvertrauen geben. Das täten gute Kleider, behauptete Nick. Darüber hatte sie den langen marineblauen Mantel mit einem seidenen Halstuch an. Ihre Frisur entsprach in etwa dem Stil, den Nick eines Nachmittags auf dem Schiff für sie erfunden hatte, als er sich langweilte. Der Knoten war nicht perfekt – sie war zu aufgeregt gewesen, um sich besondere Umstände zu machen –, aber es würde schon gehen.
    Während der vergangenen Woche hatte sie fast dreihundert Dollar in den Laden ihres Onkels gesteckt. Ein Teil war für eine neue Kühltheke und neue Regale draufgegangen. Ein anderer, um die restlichen Gläubiger abzulösen. Sie hoffte, daß die Bezahlung seiner Schulden die First-Merchants-Bank beeindrucken und zeigen würde, wie seriös und tüchtig sie war.
    Sie starrte aus dem Fenster auf die belebte Durchgangsstraße namens Wall Street, als sie Miss Miles sagen hörte: »Miss Finnegan? Mr. Ellis empfängt Sie jetzt.«
    Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie trat in Franklin Ellis’ Büro, einen Raum mit dunkler Wandvertäfelung, Landschaftsbildern vom Hudson River und schweren Mahagonimöbeln. Er stand an seinem Aktenschrank und kehrte ihr den Rücken zu, aber die Art, wie er den Zeigefinger abspreizte, während er ein Dokument las, vermittelte ihr den Eindruck eines ernsten, humorlosen Mannes.
    Wenn doch bloß Michael hier wäre, dachte sie eingeschüchtert. Wenn sie das doch nicht allein durchstehen müßte. Gestern abend hatte sie ihn gefragt, ob er mitkäme – ihn angefleht –, aber er hatte abgelehnt. Auch wenn er keinen Fuß in den Laden setzte, könnte er doch mit ihr zur Bank gehen. Was wußte sie denn von diesen Dingen? Nichts! Sie wußte nur – weil sie in seinen Geschäftsbüchern nachgesehen hatte –, daß das Haus ihres Onkels fünfzehntausend Dollar

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