Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
Wind zu schreiben …«
    »Unser Gespräch ist beendet, Miss Finnegan. Guten Tag«, erwiderte Ellis eisig, keineswegs erfreut, sich sein Geschäft von einem achtzehnjährigen Mädchen erklären lassen zu müssen.
    »Aber, Mr. Ellis …«
    »Guten Tag, Miss Finnegan.«
    Fiona nahm ihre Papiere und steckte sie in die Mappe zurück. Würdevoll wie eine Königin erhob sie sich, streckte wieder die Hand aus und wartete diesmal, bis Ellis sie ergriff. Dann verließ sie das Büro und hoffte, sie würde nicht zu weinen anfangen, bevor sie draußen war.
    Sie war am Boden zerstört. All die Arbeit der letzten Woche war umsonst gewesen. Und das Geld, das sie ausgegeben hatte! Mein Gott, sie hätte es genausogut aus dem Fenster werfen können. Wie konnte sie so dumm sein und glauben, ein Bankdirektor würde ihr tatsächlich zuhören? Sie fürchtete sich davor, nach Hause zu gehen. Mary würde auf sie warten und hoffen, daß alles gutgegangen war. Was sollte sie ihr sagen? Sie zählte auf sie. Sie alle. Und wenn sie die schlechte Nachricht überbracht hatte, konnte sie damit anfangen, wovor sie am meisten Angst hatte – eine Wohnung und eine Arbeit zu suchen. Dann konnte sie zusehen, wie das Haus verkauft und ihr Onkel obdachlos wurde, wie er auf der Straße stand, ein verstörter, vor sich hin murmelnder besoffener Stadtstreicher.
    Sie ließ das Schloß der Mappe zuschnappen. Ihr Kopf war gesenkt, und sie nahm den elegant gekleideten Mann nicht wahr, der mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem Ledersessel vor Ellis’ Tür saß. Er war groß, um die Vierzig, sah außerordentlich gut aus und betrachtete sie voller Interesse und Anerkennung. Er drückte seine Zigarre aus, erhob sich und ging auf sie zu.
    »Ellis hat Sie abgewiesen?«
    Fiona hatte immer noch Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten, und nickte nur schnell.
    »Er ist wirklich eine echte Niete. Nehmen Sie Platz.«
    »Wie bitte?«
    »Setzen Sie sich. Ich habe das Gespräch mit angehört. Ihre Ideen sind gut. Sie sind auf dem richtigen Weg zur Differenzierung.«
    »Zu was?«
    »Differenzierung.« Er lächelte. »Gefällt Ihnen das Wort? Ich hab es selbst geprägt. Es bedeutet, sich von den anderen abzusetzen. Dinge anzubieten, die die anderen nicht anbieten. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
    Er verschwand in Ellis’ Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Wie angewurzelt blieb Fiona stehen, bis Miss Miles sie bat, Platz zu nehmen.
    »Wer ist das?« fragte Fiona.
    »William McClane«, antwortete sie ehrfürchtig.
    »Wer?«
    »McClane? Von McClane Silber und McClane Holz und McClane Tiefbau. Einer der reicsten Männer New Yorks«, erwiderte sie in einem Ton, der Fiona bedeutete, sie müsse wohl eine ziemliche Hinterwäldlerin sein, wenn sie das nicht wußte. »Sein erstes Vermögen hat er mit Silber gemacht«, fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort. »Dann ist er ins Holzgeschäft eingestiegen. Jetzt arbeitet er an Plänen für die erste Untergrundbahn in New York. Gerüchten zufolge steigt er auch ins Elektrizitäts- und Telefongeschäft ein.«
    Fiona hatte nur vage Vorstellungen, was ein Telefon war, und überhaupt keine, worum es sich bei Elektrizität handelte, aber sie nickte, als wüßte sie Bescheid.
    »Ihm gehört auch die First-Merchants-Bank. Und« – sie beugte sich näher zu Fiona heran – »er ist Witwer. Seine Frau ist vor zwei Jahren gestorben. Alle Damen der Gesellschaft in der Stadt sind hinter ihm her.«
    Mr. Ellis’ Tür ging wieder auf und beendete ihre Unterhaltung. Mr. McClane kam heraus.
    »Sie haben Ihren Laden«, informierte er Fiona energisch. »Besprechen Sie die Details mit Ellis. Und geben Sie ein bißchen mehr für die Werbung aus. Nehmen Sie eine ganze Seite, wenn’s Ihnen möglich ist, und zwar am Samstag, nicht am Sonntag, selbst wenn es mehr kostet. Das ist der Tag, an dem die meisten Männer in Ihrer Gegend ihren Lohn kriegen. Sie möchten doch, daß sich Ihr Name in die Köpfe der Leute einprägt, wenn Geld da ist, nicht wenn’s weg ist.«
    Bevor Fiona ein Wort herausbekam, tippte er sich an den Hut und ging hinaus. Sie blieb stehen, starrte ihm nach und flüsterte: »Danke.«

   27   
    D ie großen Reihenhäuser auf der Albemarle Street im vornehmen Pimlico waren tiptop in Schuß, alle Fensterläden und Türen glänzten im gleichen Schwarz, die Messingbriefkästen waren auf Hochglanz poliert, und in den Terrakotta- und Keramikschalen blühten Blumen. Vor jedem Haus stand eine schwarze Gaslampe, die jetzt, an einem

Weitere Kostenlose Bücher