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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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»was bringt dich denn zu uns rüber?«
    »Ich mach bloß einen Spaziergang mit meinem Vater. Er will sich hier umschauen, nachsehen, bei wem die Geschäfte gut gehen und bei wem nicht. Du kennst ihn ja, immer die Augen offen für eine günstige Chance.«
    Bloß einen Spaziergang, meine Güte, dachte Fiona sauer. Und dafür so aufgetakelt?
    Alle Augen richteten sich auf Millie, einschließlich Joes. Sie sah umwerfend aus in dem moosgrünen Rock und der dazu passenden Jacke, die sehr eng geschnitten war, um ihre schmale Taille und den vollen Busen zu unterstreichen. Keine Frau in Whitechapel besaß ein solches Kleid, ganz zu schweigen davon, daß sie es auf dem Markt getragen hätte. Auf ihren goldenen Locken saß ein passender Hut. Perlohrringe und Seidenrüschen um den Hals ergänzten die Aufmachung, und ihre zierlichen Hände steckten in elfenbeinfarbenen Handschuhen aus Ziegenleder.
    Bei ihrem Anblick wurde sich Fiona ihres schäbigen Wollrocks, ihrer weißen Baumwollbluse und des grauen Strickschals um ihre Schultern bewußt. Sofort unterdrückte sie ihren Neid, weil sie nicht zulassen wollte, daß sie sich Personen wie Millie Peterson unterlegen fühlte.
    »Ist er auf der Suche nach neuen Kunden?« fragte Joe, und seine Blicke wie die eines Dutzend anderer strichen von ihrem Gesicht auf ihren Busen hinab.
    »Nach ein paar. Aber er ist nicht nur wegen der Kunden hier. Er geht gern auf den Markt, um neue Talente zu entdecken. Er hält immer Ausschau nach vielversprechenden jungen Männern. Ich bin sicher, daß er von dir angetan wäre«, antwortete sie und legte die Hand auf seinen Unterarm.
    Fiona durchfuhr ein Stich der Eifersucht. Zum Teufel mit guten Beziehungen. Millie Peterson hatte gerade die Grenze überschritten. »Ist dir schlecht, Millie?«
    »Schlecht?« fragte Millie und sah sie an, als wäre sie Abfall. »Nein, mir geht’s gut.«
    »Wirklich? Du siehst aus, als würdest du gleich umsinken, wie du dich auf Joe stützt. Joe, warum holst du Millie keine Kiste, auf die sie sich setzen kann?«
    »Das ist nicht nötig«, zischte Millie. Sie nahm die Hand von Joes Arm.
    »Wenn du meinst. Ich möchte nicht, daß du ohnmächtig wirst. Vielleicht ist deine Jacke zu eng.«
    »Also, du dumme Kuh!« rief Millie aus, und ihre Wangen wurden rot.
    »Besser eine Kuh als ein Mistvieh.«
    »Aber meine Damen, das ist doch kein Benehmen. Wir können uns doch keine Rauferei dem Markt leisten«, scherzte Joe und versuchte, die beiden Mädchen zu besänftigen, die sich ansahen wie zwei Katzen, die mit gesträubtem Fell aufeinander losgehen wollen.
    »Nein, das können wir nicht«, antwortete Millie schnippisch. »Das ist Gossenverhalten. Für Gossenkinder.«
    »Paß auf, wen du ein Gossenkind nennst. Du stammst aus der gleichen Gosse, Millie«, erwiderte Fiona leise und schneidend. »Vielleicht hast du das vergessen, aber sonst niemand.«
    Millie spürte, daß sie geschlagen war, und wechselte das Thema. »Ich sollte gehen. Offensichtlich bin ich hier nicht erwünscht.«
    »Komm, Millie«, sagte Joe verlegen. »Fiona meint’s nicht so.«
    »Doch.«
    »Ist schon gut«, antwortete Millie gedrückt und richtete ihre haselnußbraunen Augen auf Joe. »Ich muß ohnehin meinen Vater finden. Bis zum nächsten Mal. Hoffentlich in besserer Gesellschaft. Bis dann.«
    »Bis dann, Millie«, sagte Joe. »Grüß deinen Vater von mir.«
    Sobald Millie außer Hörweite war, wandte sich Joe an Fiona. »War das nötig? Hast du unbedingt Tommy Petersons Tochter beleidigen müssen?«
    »Sie hat’s nicht anders haben wollen. Sie meint, sie kann dich mit dem Geld ihres Alten kaufen. Wie einen Sack Orangen.«
    »Das ist lächerlich, und das weißt du.«
    Fiona stampfte mit dem Fuß auf.
    »Du solltest lernen, dich zusammenzureißen. Willst du dich so aufführen, wenn wir unseren Laden haben? Deine blödsinnige Eifersucht übers Geschäft stellen?«
    Joes Worte trafen Fiona ins Mark. Er hatte recht. Sie hatte sich albern benommen.
    »Joe! Hilfst du uns?« rief Mr. Bristow.
    »Gleich, Vater!« rief Joe zurück. »Ich muß gehen, Fee. Sieh zu, daß du deine Einkäufe ohne weiteren Stunk über die Bühne kriegst, ja? Und sei nicht so eifersüchtig.«
    »Wer ist eifersüchtig? Ich bin nicht eifersüchtig … sie ist einfach unerträglich, das ist alles.«
    »Du bist eifersüchtig, und du hast keinen Grund dazu«, antwortete er und kehrte zu seinem Stand zurück.
    »Das bin ich nicht!« rief Fiona trotzig. Sie sah zu, wie Joe wieder seinen Platz vor

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