Die Teerose
auf den Boden. Dann legte sie die Hände aufs Gesicht und versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten.
Mary war sofort an ihrer Seite. »Fiona, was hast du denn?« fragte sie.
Fiona sah sie mit tränenblinden Augen an. »Nichts.«
»Nichts? Warum weinst du dann?«
»Nick wollte hiersein, Mary«, antwortete sie gereizt. »Um mir mit dem Kleid zu helfen. Er wollte doch kommen. Er hat es sich sogar in seinen Kalender geschrieben, als wir das letzte Mal hier waren. Er hat es mir versprochen. Wie soll ich denn wissen, ob es in Ordnung ist, ohne ihn?«
»Wenn er’s versprochen hat, kommt er schon noch«, sagte Mary. »Sicher hat er sich nur verspätet.«
»Nein, das ist es nicht. Er hat sich nicht verspätet. Er kommt gar nicht. Ich hab ihn seit unserem Streit nicht mehr gesehen. Das war vor einer Woche. Er kommt heute nicht, und er kommt auch nicht zur Hochzeit.«
Mary und Maddie tauschten besorgte Blicke aus. Fiona hatte ihnen von dem Streit mit Nick erzählt. Sie waren sehr mitfühlend, hatten ihre Partei ergriffen und waren sich einig, wie gemein es von Nick gewesen war, solche Dinge zu sagen. Sie selbst war immer noch wütend über die Art, wie er sie behandelte, wie er ihr zusetzte. Am meisten ärgerte sie, daß er recht hatte – obwohl sie das nicht zugeben konnte. Sie wollte das Tea Rose nicht aufgeben. Aber sie hatte keine Wahl.
Nach ihrem Streit mit Nick war sie zu Will zurückgegangen, um ihn noch einmal zu fragen, ob es wirklich nötig sei, aufs Land zu ziehen und dort ihre Kinder aufwachsen zu lassen, weil sie viel lieber so weiterleben wolle wie jetzt. Auch nachdem die Kinder da wären. Er meinte, das komme überhaupt nicht in Frage. Frauen seines Standes zeigten sich nicht mit dickem Bauch in der Öffentlichkeit. Und ganz abgesehen davon könne ein Mangel an Schonung zu Fehlgeburten führen. Und wie wolle sie kleine Kinder aufziehen und gleichzeitig ein Geschäft leiten? Er verstehe ihren Arbeitsdrang ja, verstehe den Grund dafür, aber dieser Teil ihres Lebens sei jetzt schließlich vorbei. Er sei ein reicher Mann und mehr als nur in der Lage, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Er war unnachgiebig geblieben, und sie hatte nicht gewagt, das Thema noch einmal anzuschneiden.
Doch dort, wo sie aufgewachsen war, wurden die Frauen während der Schwangerschaft nicht weggesperrt. Ein dicker Bauch war nichts Ungewöhnliches in einer Nachbarschaft mit großen Familien. Was war denn peinlich an einem runden Bauch? Die Leute wußten, was darin war, und auch, wie es hineingekommen war. Eine Frau konnte so geziert tun, wie sie wollte, nach neun Monaten stellte sich unleugbar und schreiend die Wahrheit ein. Babys waren auf der Montague Street allgegenwärtig – sie wurden in den Armen ihrer Mütter gestillt, von ihren Schwestern herumgetragen und von ihren Vätern auf den Knien geschaukelt. Sie waren ein Teil des Lebens, keine Behinderung. Und keine Frau in Whitechapel hörte zu arbeiten auf, weil sie schwanger war. Sie putzten und kochten, verkauften Waren auf dem Markt oder schrubbten Wirtshausböden, bis die Wehen sie zwangen, sich ins Bett zu legen. Und danach kehrten sie ohne viele Umstände zu ihrer Arbeit zurück.
Während sie in Madames Anproberaum stand, wurde sie plötzlich von einer großen Eifersucht auf Nick, Nate und Maddie erfaßt. Sie alle folgten ihren Träumen und bauten ihre Geschäfte auf – genau wie sie es getan hatte. Aber sie alle machten damit weiter, nur sie nicht.
Madame Eugénie hatte Tee, Kaffee und Kuchen bringen lassen. Mary goß Fiona eine Tasse Tee ein und reichte sie ihr. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, wischte ihr Mary liebevoll das Gesicht ab, wie sie es bei Nell oder Seamie getan hätte. Dann nahm sie ihre Hände und sagte: »Nick wird zur Hochzeit kommen, Fiona. Das weiß ich. Er muß sich nur ein bißchen beruhigen.«
»Er haßt mich«, sagte Fiona deprimiert.
»Ach, Unsinn! Er haßt dich doch nicht. Er betet dich an. Vielleicht solltest du ihm ein bißchen Zeit lassen. Hast du dir je überlegt, daß es schwer für ihn sein könnte? Vielleicht ist er ein bißchen eifersüchtig?«
»Eifersüchtig? Mary, das ist doch lächerlich! Du weißt, daß er in dieser Hinsicht kein Interesse an mir hat.«
»Ich meinte, eifersüchtig, weil er dich verliert. Du bist seine engste Freundin, Fiona.«
»Seine Familie«, fügte Maddie hinzu.
»Und jetzt heiratest du, ziehst fort und fängst ein ganz neues Leben an. Vielleicht hat er Angst, dich zu verlieren. Vielleicht ist er
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