Die Teerose
weißt nicht, was er für mich empfindet. Oder was ich für ihn empfinde. Du weißt nicht, wie gut er zu mir ist. Worüber wir reden. Wie er mich zum Lachen bringt. Du weißt nicht, wie nett er ist, wenn wir allein sind, wie glücklich er mich macht.«
»Verwechsle doch körperliche Liebe nicht mit echter Liebe«, antwortete er kurz.
Fiona senkte den Blick. Sie wurde rot. Er war grob und grausam, das wußte er, aber er konnte nicht anders. Er wollte sie verletzen, wollte zu ihr durchdringen und ihr die Wahrheit vor Augen führen.
»Davon habe ich nicht geredet«, sagte sie schließlich. »Ganz und gar nicht.«
»Was ist es denn dann? Das Geld?« fragte er grob und hob ihr Gesicht an. »Ist es das? Bist du dahinter her? Ich kann dir Geld geben. Mein Scheck ist angekommen. Fast dreitausend Pfund. Ich geb sie dir. Alles. Du mußt das nicht tun.«
Fiona saß bewegungslos mit einem verzweifelten Ausdruck im Gesicht da, und Nick wußte, daß er zu weit gegangen war.
»Ich brauche Wills Geld nicht«, antwortete sie ruhig. »Ich will ihn. Ich will einen Mann, der mich liebt. Einen, der mir nicht das Herz bricht.«
Nick schenkte ihr ein kaltes Lächeln. »Natürlich wird er das nicht. Wie auch? Du hast es ihm ja nicht geschenkt.«
Er wartete auf eine Antwort, bekam aber keine. Einen Moment hielt sie seinem Blick stand, Tränen des Zorns und der Kränkung standen in ihren Augen, dann lief sie aus seiner Wohnung und warf die Tür hinter sich zu.
52
J oe saß mit aufgestützten Ellbogen am Tisch eines schäbigen Lokals in der Bowery und beobachtete, wie eine ungepflegte Kellnerin in schmuddeligem Kleid und schmutziger Schürze zwei Teller mit dem Tagesmenü – Schweineschnitzel, Kartoffeln und grüne Bohnen – auf den Tisch knallte.
»Das wären fünfundzwanzig Cent für jeden«, sagte sie.
Joe und Brendan bezahlten. Ohne zu danken, steckte sie das Geld ein, schenkte ihnen dünnes, schäumendes Bier nach und marschierte, während sie den armen Botenjungen anherrschte, in die Küche zurück. Sie war wie die meisten Leute, die Joe in der ersten Woche auf der geschäftigen East Side getroffen hatte: unwirsch, grob und ausgelaugt von dem ständigen Kampf ums Überleben.
Brendan schnitt sein Schnitzel an, Joe stocherte appetitlos in seinem Teller herum.
»Was ist denn los mit dir? Warum ißt du nicht?« fragte Brendan und sah ihn an.
Er zuckte die Achseln. »Keinen Hunger, denk ich.«
»Du wirst sie schon finden. Wir sind doch erst ein paar Tage hier.«
»Seit einer Woche«, antwortete er seufzend. »Eine ganze Woche und kein Glück gehabt. Ein Hausierer, der in der Sixth Ward südlich der Walker Street von Tür zu Tür geht, hat mir gesagt, daß dort viele Iren wohnen. Ich hab die ganze Gegend durchkämmt, aber ohne Erfolg. Ein Dutzend Finnegans – zwei Michaels –, aber keiner von ihnen der richtige. Ein Polizist hat mir empfohlen, es auf der West Side zu probieren, in einer Gegend namens Chelsea und Hell’s Kitchen. Aber dort sei’s gefährlich, hat er gesagt, und ich sollte aufpassen. Ich mach mir einfach Sorgen um sie. Was ist, wenn es mit ihrem Onkel nicht geklappt hat? Wenn sie irgendwo allein ist? Sie kommt in einer großen Stadt doch nicht zurecht. Sie war noch nie aus Whitechapel rausgekommen, bevor ich sie ins West End mitgenommen hab. Sie ist doch bloß ein junges Mädchen mit einem kleinen Kind, für das sie sorgen muß. Vielleicht lebt sie in einem elenden Loch in einer schlechten Gegend. Mein Gott, Brendan, die machen sie fertig dort. Und was ist, wenn ich völlig auf dem Holzweg bin und sie gar nicht mehr in New York ist?«
»Jetzt dreh doch nicht gleich durch«, sagte Brendan. »Sie ist bestimmt bei ihrem Onkel und völlig sicher. Soweit du mir erzählt hast, kann sie gar nicht irgendwo anders sein. Such einfach weiter und gib nicht auf. Du mußt doch nur den Mann finden, und dann hast du sie. Hast du schon in diesem Telefonbuch nachgesehen, von dem der Träger auf dem Schiff erzählt hat?«
»Ja, aber das ist nur für höhere Berufe. Doktoren und Anwälte und so was. Trotzdem hab ich mir alle Finnegans rausgeschrieben. Auch wenn kein Michael dabei war, könnten sie ihn vielleicht kennen.«
»Wie steht’s mit den irischen Missionen? Oder Wohltätigkeitseinrichtungen? Meine Mutter hat mir geraten, zu den Söhnen St. Patricks zu gehen, wenn ich in Schwierigkeiten bin.«
»Ein Mann, den ich in unserer Pension kennengelernt hab, hat mir von der Gaelic Society erzählt. Die sammeln
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