Die Teerose
absuchte, entging Fiona nicht, daß Millie sie beobachtete. Sie ging zu Joes Bett hinüber, schlug das Kissen zurück und rief: »Ah, da ist sie ja!«
Auf dem Weg durchs Zimmer steckte sie sich die Brosche lächelnd wieder an. Mit eisigem Blick erwiderte Millie: »Ich frage mich, wie sie da hingekommen ist?«
Fiona zwinkerte ihr zu. »Ich nicht«, antwortete sie.
Harry bürstete sich ab, und Joe kehrte aus der Toilette zurück, beide hatten nichts von dem Schlagabtausch mitbekommen.
»Wo war sie denn?« fragte Joe.
»Och, gleich da drüben beim … verdammt. Ist es schon so spät?« rief sie aus, auf die Wanduhr sehend. »Wir sollten uns lieber beeilen, Joe. Mein Vater bringt uns um.«
Als sie draußen waren, klopfte Joe Fiona auf den Rücken und sagte: »Ich bin wirklich stolz auf dich, Fiona. Du warst höflich zu Millie und hast dich nicht mit ihr gestritten. Wie eine Lady hast du dich benommen.«
Eher wie eine Hafenschlampe, dachte Fiona, lächelte aber süß.
»Ich hoffe, du siehst jetzt ein, wie albern du gewesen bist. Millie weiß, wo ihre Grenzen sind.«
Jetzt schon, dachte Fiona.
Als sie auf die Hauptstraße kamen, hörten sie das laute Klappern von Pferdehufen. »Komm, da ist der Bus. Wir können es noch vor acht nach Whitechapel schaffen, und dein Vater zieht mir nicht bei lebendigem Leib das Fell ab.«
»Nein, aber mir, wenn er rausfindet, daß ich mir von einem hergelaufenen Händler den Hof machen lasse.«
»Nein, das wird er nicht, sondern er wird stolz auf dich sein. Du hast einen guten Fang gemacht«, sagte er und lief schneller, denn der Bus hielt nur ein paar Minuten an der Haltestelle.
»Ich hab was?« fragte sie atemlos.
Er grinste sie an. »Du hast ein gutes Geschäft gemacht … eine Pflaume gegen die lebenslange Lieferung von Äpfeln und Orangen.«
Fiona wurde feuerrot. Sie erreichten die Rückseite des Busses, gerade als der Kutscher mit den Zügeln knallte. Joe half ihr hinauf, dann sprang er selbst auf. Lachend und schnaufend hasteten sie den Gang entlang und ernteten mißbilligende Blicke einer verknöcherten Matrone, dann nahmen sie ihre Plätze ein, als die Pferde den Weg nach Osten einschlugen, in Richtung Fluß und Whitechapel.
Gefolgt von ihrer Zofe Olive rannte Millie die geschwungene Treppe der häuslichen Eingangshalle hinauf. Sie stürmte durch die Schlafzimmertür, nahm eine kristallene Parfümflasche von der Ankleidekommode und schmiß sie an die Wand. Sie zersprang in tausend Scherben und verbreitete den Geruch von Fliederwasser.
»Aber Miss«, rief Olive entsetzt.
»Kümmer dich nicht darum!« zischte Millie. »Hilf mir, die Stiefel auszuziehen.« Sie setzte sich auf ihr Bett. Olive kniete sich mit einem Stiefelknecht neben sie. »Ich wußte es, Olive. Schon als ich in die Wohnung kam und sah, wie sauber alles war, wußte ich, daß sie ihn besucht hat. Und ich hatte recht. Harry hat mich zum Lunch eingeladen – draußen in Richmond. ›Wir nehmen den Zug‹, hat er gesagt. ›Ich würd gern einen Ausflug aufs Land machen.‹ Dieser elende Heimlichtuer.«
»Aber das hört sich doch nach einer netten Einladung an, Miss«, sagte Olive und zog einen Stiefel aus.
»Ach, darum ging’s doch nicht. Er wollte mich bloß aus der Wohnung haben, damit Joe mit seiner kleinen Schlampe allein sein konnte.«
»Aber wenn Sie in Richmond waren, Miss, woher wissen Sie dann, daß sie in der Wohnung war?«
»Bevor wir losgingen, als sich Harry umdrehte, hab ich meinen Beutel auf den Kaminsims gelegt. Nach dem Lunch hab ich gesagt, ich hätte ihn verloren, und hab so getan, als würde mich das furchtbar aufregen. Wir gingen zu dem Restaurant zurück, und als er dort nicht war, sagte er, er müsse entweder im Zug oder in der Wohnung liegengeblieben sein. Wir haben am Bahnhof nachgefragt, aber natürlich hatte ihn niemand abgegeben, also mußte er mich in die Wohnung zurückbringen. Und als wir dort ankamen …«, Millie kniff die Augen zusammen, »… war sie da. Sie haben miteinander geschlafen, Olive.«
»Nicht möglich!« flüsterte Olive mit aufgerissenen Augen.
»Doch. Dessen bin ich mir sicher«, fuhr Millie fort. Sie schnupperte in die Luft und verzog das Gesicht. »Gott, wie das stinkt. Wisch es bitte auf. Und mach das Fenster auf. Ich ersticke fast.«
Olive schenkte ihr einen Blick, der ausdrückte, daß sie sich schließlich nicht vierteilen könne.
Millie ließ sich auf ihr Bett sinken und stöhnte frustriert auf. Nachdem Joe und Fiona gegangen waren,
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