Die Teerose
Kartoffeln, zwei Kisten Spargel, drei Kisten Spinat, zwei Dutzend Vanillestangen, vier Kisten Orangen und jeweils drei Kisten Mangos, Ananas und Bananen. »Hat man Sie schließlich aus Ihrem Büro geworfen?« fragte er mit Blick auf Joes aufgekrempelte Ärmel und beschmutzte Weste.
»Oh, ich helf bloß aus«, antwortete er. »Der Chefverkäufer ist um fünf zu mir raufgekommen und hat gesagt, daß zwei seiner Leute krank seien und ob ich einen Buchhalter zum Aushelfen runterschicken könnte. Aber es war bloß einer da, und der mußte Bestellungen schreiben, also bin ich runtergekommen. Ich wollt nicht, daß sich der arme Kerl überarbeitet.«
»Sie meinen, Sie wollten ihm den Spaß nicht gönnen.«
Joe lachte amüsiert. »Ja, das auch. Hier, sehen Sie die mal an.« Er zog das Baumwolltuch von einem Weidenkorb, und Olivier lächelte entzückt. Sorgfältig auf Reis gebettet, lagen frische Trüffeln darin, kohlrabenschwarz und duftend.
»Vor zwei Tagen aus französischer Erde gegraben«, sagte Joe stolz. »Sehen Sie sich die an«, drängte er und reichte dem Mann eine besonders große Knolle. »Fest, dick und ohne einen Makel. Das beste, was das Perigord zu bieten hat. Soll ich Ihnen zwei Dutzend zurücklegen?«
»Zwei Dutzend? Sind Sie wahnsinnig. Zwölf! Ich hab ein Budget einzuhalten.« Olivier hielt eine Trüffelknolle an die Nase und betrachtete sie dann mit liebevoll verträumtem Ausdruck. »Der Geruch … er ist unbeschreiblich, nicht? Genau wie der Duft der Liebe.«
Joe schüttelte den Kopf. »Ach, ihr Franzosen. Ihr könnt Küche und Schlafzimmer nicht auseinanderhalten, was?«
»Warum sollten wir? Beides ist der Stoff des Lebens. Aber wie kann ich von einem Mann, der diese … merde ißt«, er deutete auf eine halb aufgegessene Wurst, die, in zerknittertes Papier gewickelt, auf einer Kiste lag, »annehmen, daß er das weiß?«
»Was stimmt nicht damit?« fragte Joe. Er nahm Olivier gern hoch. »Das ist herzhafte Kost für einen robusten englischen Magen!« Trotz seiner Schwäche für Würste, Fisch und Chips und verschiedene andere Gerichte aus seiner Kindheit war Joes kulinarische Kennerschaft genauso ausgebildet wie die seines Freundes.
»Pah! Ihr Engländer habt keinen Magen! Keine Zunge! Ich bin nicht nur zum Kochen nach England gekommen, mein Freund, sondern um euch zu erziehen, euch angelsächsischen Trampeln beizubringen, was wirkliches Essen ist. Und wie wird mir das vergolten? Filet wird zurückgeschickt, weil’s zu roh ist. Niemand ißt mein Kalbshirn. Man verlangt diese elende Worcestersauce zu allem! Ich könnte ihnen Steine auftischen, und sie würden den Unterschied nicht merken!«
»Steine in Zwiebelsoße vielleicht«, räumte Joe ein.
»Kommen Sie heute abend in meine Küche, und ich zeige Ihnen, was richtiges Essen ist«, befahl Olivier und stieß ihm einen Finger in die Brust. »Und bringen Sie eine Frau mit, um Himmels willen! Sie essen wie ein Barbar und leben wie ein Mönch. Geben Sie mir die.« Er deutete auf die Trüffeln.
»Zwölf haben Sie gesagt?«
»Nein, alle!« rief Olivier aufgebracht. »Soll ich diesen Schatz etwa unbeachtet zurücklassen? Oder schlimmer noch, ihn von einem englischen Ignoranten verderben lassen?«
»Soll die Ware geliefert werden, Olivier?«
»Alles, außer den Trüffeln, die nehm ich mit. Und ich sehe Sie heute abend. Punkt neun!«
Joe lächelte, als sein temperamentvoller Freund sich davonmachte. Er war zufrieden mit sich. Keiner der jungen Burschen, die er als Verkäufer angestellt hatte, brachte eine Wagenladung Obst und Gemüse und einen Korb teurer Trüffeln an den Mann und bekam obendrein noch eine Einladung vom besten Küchenchef Londons. Aber wen sollte er mitnehmen. Jimmy war gerade mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt? Vielleicht Cathy?
Er nahm eine Grapefruit und roch daran. Für ihn duftete sie verführerischer als das teuerste französische Parfüm. Er wandte sich um und warf einen Blick durch sein riesiges Lagerhaus, wo emsige Träger Bestellungen auf Wagen luden, Verkäufer Waren aufstapelten, Küchenchefs der besten Restaurants, Hotels und Clubs ihre Auswahl trafen, und verspürte großen Stolz. Dann sah er auf seine Uhr – es war sieben – und fühlte sich ein wenig schuldig. Er sollte nicht hier unten sein, sondern sich um seine Schreibtischarbeit kümmern. Ursprünglich wollte er das auch. Er war schon früh gekommen, um sich einen Vorsprung zu verschaffen, doch als der Chefverkäufer nach oben gekommen war, um ihm
Weitere Kostenlose Bücher