Die Teerose
zu sagen, daß er Hilfe brauche, konnte er einfach nicht widerstehen. Er mußte einfach verkaufen gehen, nur eine kleine Weile. Er hatte sich geschworen, nur eine Stunde zu bleiben, war jetzt aber schon zwei Stunden hier. Doch wie sollte er sich losreißen? Nie würde er wieder hier unten arbeiten, sondern immer nur mit Buchhaltern Zahlen durchgehen oder mit Architekten und Bauleuten Pläne für neue Läden besprechen. Er vermißte das Warenlager. Nichts erregte ihn mehr als die Herausforderung des Verkaufens.
»Da ist er!« hörte er jemanden rufen und fuhr zusammen.
Noch immer die Grapefruit in der Hand, drehte er sich um und lächelte seinem Bruder Jimmy entgegen, seinem Stellvertreter, und Cathy, seiner hübschen blonden Schwester, die in seinem größten Laden in Chelsea für ihn arbeitete.
»Wir bezahlen Leute, um das zu machen«, sagte Jimmy.
»Ich bin nur eingesprungen«, erwiderte Joe abwehrend.
»Wir sollten ihm einen Wagen besorgen, Jimmy, und ihn wieder auf die High Street stellen, wo er Äpfel und Orangen verhökern kann. Da gehört er hin«, sagte Cathy neckend. »Und wenn du die Grapefruit weglegst, könntest du mich vielleicht zu dem Laden bringen, den ich demnächst führen soll. Dort wollten wir uns nämlich vor einer halben Stunde treffen.«
»Verdammter Mist! Das hab ich völlig verschwitzt! Tut mir leid, mein Schatz. Ich hol bloß schnell meinen Mantel, dann gehen wir.«
Joe legte die Frucht in die Kiste zurück, während Jimmy und Cathy nach oben gingen. Als er ihnen folgte, hörte er sie aufgeregt über das Geschäft in Knightsbridge reden. Alle drei Geschwister knüpften große Hoffnungen an Montague’s neues Flaggschiff, das Cathy leiten sollte. Sie war ein aufgewecktes Mädchen – achtzehn inzwischen – schnell, gerade heraus und ein bißchen ungestüm. Manchmal konnte sie eine Nervensäge sein, aber sie gehörte zur Familie und war die einzige Person, die Joe mit dieser wichtigen Aufgabe betrauen wollte. Jimmy, inzwischen sechsundzwanzig und durch und durch ein Gemüsehändler, wollte den Laden zur ersten Adresse für die besten, ausgefallensten Produkte in ganz London machen. Dort würde es natürlich auch alle üblichen Waren geben, aber eben auch Dinge, die die Londoner noch nie gesehen hatten: Blaubeeren, Okra und Kürbisse aus den Staaten, riesige Stachelbeeren, Lichies und Kumquats aus China, Guaven, Papayas und Sternfrüchte aus den Tropen, roten Pfeffer und Wassermelonen aus Mexiko, Tamarinden und Kokosnüsse aus Indien. Und Joe wollte einfach, daß es der modernste, am besten sortierte Feinkostladen der Welt werden würde – der Inbegriff seiner Ambitionen.
»… aber Kopfsalat, Endivien und Spinat sind leicht verderblich«, hörte er seine Schwester sagen. »Wenn es zu warm ist, welken sie, und wenn es zu kalt ist, werden sie gleich schwarz. Wie willst du sie richtig lagern? Soweit du’s mir beschrieben hast, gibt’s nicht genug Platz …«
»Jetzt hör halt mal zu! Ich komm ja nie zu Wort! Wir haben eine Befeuchtungsanlage. Die hat sich Joe ausgedacht. Sie hält die leicht verderbliche Ware frisch. Als wär sie gerade frisch geerntet worden.«
»Eine Befeuchtungsanlage?« wiederholte Cathy und gab ihrem Bruder einen Stoß. »Du nimmst mich wohl hoch?«
»Ich schwör’s, Cat.«
»Mensch, Jimmy, wirklich?« fragte sie aufgeregt. »Wissen das die Typen von Harrods? Das wird sie umhauen!«
»Niemand weiß das, und du darfst es auch keinem sagen. Die wird Harrods …«
»Die wird Harrods ziemlich alt aussehen lassen«, ergänzte Joe und zog die beiden an den Ohren, als er an ihnen vorbei durchs Foyer eilte. »Kommt, schaut euch die Pläne an.«
Auf dem großen Eichentisch in seinem Büro lagen die Pläne für das Flaggschiff. Joe und Jimmy erklärten sie Cathy. Im Erdgeschoß wurde die Decke von großen Säulen getragen. Dort gäbe es alle frischen Waren. Im hinteren Teil führte eine Marmortreppe in den ersten Stock, wo der Blumenladen, die Süßwaren, Kaffee und Tee, Tabak und edler Wein verkauft wurde. Im zweiten Stock befand sich ein Restaurant, wo die Kunden essen oder Tee trinken konnten.
»Ach, Joe, es ist wundervoll!« rief Cathy aus. »Wie sieht die Einrichtung aus? Wie sind die Farben?«
»Nun, einfach umwerfend, soviel kann ich sagen. So was hat London noch nicht gesehen.«
»Maud?« fragte Cathy.
»Ähm … nicht ganz.«
»Joe, was hast du getan?«
»Wandgemälde von den vier Jahreszeiten fürs Erdgeschoß gekauft. Großartige Bilder! Wie
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