Die Templerin
wollte auffahren, aber Gero legte ihm rasch und besänftigend die Hand auf den Unterarm. »Laß sie«, sagte er ruhig. »Sie hat recht. Es war alles zuviel für einen Tag. Und Robin wird bei der Geschichte bleiben - nicht wahr?«
Die beiden letzten Worte hatte er direkt an Robin gerichtet. Sie antwortete mit einem wortlosen Nicken darauf. Alles war so schrecklich verwirrend. Nichts schien mehr Sinn zu ergeben.
»Dann laß uns jetzt gehen«, fuhr Gero fort. »Es ist spät, und ich muß mich um meinen hochwohlgeborenen Gast kümmern.«
KAPITEL 4
Robins Mutter löschte das Licht, kaum daß Gero und Hark gegangen waren, und sie legten sich nebeneinander auf der Ofenbank schlafen, so wie sie es in den letzten fünfzehn Jahren an jedem Abend getan hatten. Ihre Mutter stellte keine einzige Frage, und sie schimpfte auch nicht mit ihr, aber Robin wäre es fast lieber gewesen, sie hätte es getan. Sie selbst machte sich schwere Vorwürfe - so schwere, daß sie nicht wußte, wie sie mit der Schuld, die sie ganz eindeutig auf sich geladen hatte, überhaupt noch weiterleben sollte.
Irgendwann schlief sie doch ein - aber es war kein erholsamer Schlaf. Sie hatte üble Träume, und irgendwann spät in der Nacht wachte sie schweißgebadet und mit heftig klopfendem Herzen auf; nicht von selbst, wie ihr nach einem Moment klar wurde, sondern weil ihre Mutter heftig an ihrer Schulter rüttelte.
Eine Kerze brannte, und sie konnte brennendes Holz riechen. Ihre Mutter mußte schon eine Weile wach sein, denn sie saß neben ihr, hatte die linke Hand beruhigend auf ihre Schulter gelegt und hielt einen Trinkbecher in der Rechten, aus dem es heftig dampfte.
»Was…?« murmelte sie benommen. Sie wollte sich aufsetzen, aber ihre Mutter drückte sie mit schon deutlich mehr als sanfter Gewalt zurück und hielt ihr den Becher an die Lippen.
»Du hast im Schlaf geweint«, sagte sie. »Trink das.«
Robin öffnete gehorsam die Lippen und leerte den Becher im ersten Ansatz fast zur Hälfte. Das Getränk war so heiß, daß sie sich fast die Lippen daran verbrühte, und schmeckte nach Kräutern; ein wenig bitter, aber nicht einmal unangenehm. Robin glaubte sich zu erinnern, daß ihre Mutter es ihr schon zwei- oder dreimal verabreicht hatte. Aber damals war sie krank gewesen.
Ihre Mutter forderte sie mit einem Nicken auf, auch den Rest auszutrinken, und sie gehorchte. Sie hätte etwas darum gegeben, hätte die einschläfernde Wirkung des Trunks sofort eingesetzt, aber zugleich hatte sie beinahe Angst davor. Wenn sie einschlief, dann kamen die Träume wieder. Sie erinnerte sich nicht einmal, was sie geträumt hatte. Nur, daß es schlimm gewesen war.
»Danke«, murmelte sie. Ihre Mutter nahm ihr den Becher aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch, und als Robin diesmal versuchte, sich aufzusetzen, hinderte sie sie nicht mehr daran. Im Gegenteil. Sie setzte sich neben sie, zog die Knie an den Körper und legte Robin den Arm um die Schulter. Robin schmiegte sich an sie, und plötzlich war es, als wäre etwas in Robin zerbrochen. Von einem Moment auf den anderen füllten sich ihre Augen mit Tränen, die sie weder zurückhalten konnte noch wollte. Sie wußte nicht einmal genau, warum sie weinte. Die Tränen liefen in Strömen über ihr Gesicht, und plötzlich brach alles über ihr zusammen;jeder Moment der Angst, den sie ausgestanden hatte, jeder Schmerz, der ihr zugefügt worden war, jeder Augenblick der Furcht, den sie durchlitten hatte. Sie weinte lange, laut und heftig schluchzend, später dann leise, aber kaum weniger intensiv. Ihre Mutter hielt sie die ganze Zeit über stumm im Arm und drückte sie an sich, während sie ihr mit der anderen Hand zärtlich übers Haar strich.
Erst als ihre Tränen allmählich zu versiegen begannen, sagte sie: »Ich dachte schon, daß es gar nicht mehr passiert.«
»Was?« fragte Robin. Sie zog die Nase hoch und versuchte anschließend, sich mit dem Ärmel ihres Kleides die Tränen aus den Augen zu wischen, aber es mißlang. Sie füllten sich sofort wieder mit neuer, brennender Nässe.
»Daß du weinst«, antwortete ihre Mutter. »Weinen ist wichtig. Tränen, die nicht geweint werden, brennen dir Narben in die Seele. War es wegen des Jungen?«
»Welcher Junge?«
»Jan - das war doch sein Name, oder?«
»Nein.« Robin schüttelte den Kopf. Jans Tod - vor allem die grausame Art und Weise, auf die er ihn ereilt hatte - hatte sie entsetzt. Aber sie trauerte nicht wirklich um ihn. Dazu hatte sie ihn gar nicht gut
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