Die Templerverschwoerung
Trachom zu finden. Er hatte zu der Heiligen gebetet, deren Namen die Kirche trug, einer Nonne, die für jeden, selbst für den Teufel zu Gott gefleht hatte und deren Fürbitte viele suchten. Zwischen Kirche und Seeufer verlief ein breiter Kanal, wo die Pilger für ein paar Münzen Tankwas oder flache Stechkähne für ihren Bedarf mieten konnten. Nachdem die beiden die notwendigen Papyrusboote an einem sicheren Ort vertäut hatten, konnten auch sie sich ein wenig entspannen. Den Fischern hatten sie gesagt, sie seien Wissenschaftler der Universität Addis Abeba, die auf den Inseln die Gewohnheiten von Nachtvögeln studieren wollten. Das glaubte zwar keiner, aber damit hatten die Fischer etwas, das sie bei Nachfragen antworten konnten.
Mariyam und Conor gingen zum Seeufer. Hand in Hand wanderten sie den Strand entlang, sahen den Pelikanen zu, die in der Nähe beisammen hockten, den Fliegenschnäppern, die die Bäume bevölkerten, und den Weißohrturakos, die einen ohrenbetäubenden Lärm machten. Mariyam schaute einen Birkenfeigenbaum von über dreißig Metern Höhe hinauf, in dessen dichtem grünem Laubwerk Tacazze-Nektarvögel und Stare umherhüpften. Es war wie im Paradies. Sie musste an die Wüste denken, die sie beinahe das Leben gekostet hätte.
Auf einer Bank ließen sie sich nieder. Auf dem See fuhren kleine Boote und größere Fähren zwischen den Inseln hin und her. Die Wasserfläche war riesig, man würde viele Stunden brauchen, um von einem Ende zum anderen zu gelangen. Der See hatte siebenunddreißig Inseln, fast alle mit Klöstern bebaut und von Mönchen bewohnt. Die waren wie Schwimmerin heiligem Wasser, verbrachten ihre Tage bei Gebeten und Meditation und ließen sich des Nachts von den Wellen des Tanasees sanft in den Schlaf wiegen. Keine Frau durfte ihren Fuß auf eine der Inseln setzen.
»Ich habe jedes Gefühl für die Realität verloren«, sagte Conor. »Vor ein paar Jahren habe ich noch in Dublin gelebt. Ich kannte alles – die Plätze, den Akzent, den Geschmack des Bieres, die Musik, den Sandymount Strand an einem Wintermorgen, den Sand, über den ein eisiger Wind fegte, die Gay Byrne Show im Fernsehen, all die vielen Dinge, die mich zu dem geformt haben, der ich heute bin. Dann habe ich mich nach Cambridge aufgemacht, dort einen Job gefunden und bin geblieben. Ich habe neue Nähe, einen neuen Akzent, neue Gebäude, einen anderen Fluss, Einsamkeit und manchmal auch Verzweiflung kennengelernt.«
Zum ersten Mal erzählte er Mariyam ausführlich von Aoife, ihrer Trunksucht, seinem Kampf dagegen, der Scheidung, den Wellen des Bedauerns, die ihn manchmal erfassten, von seiner Abgestumpftheit, bis er ihr begegnet war.
»Und jetzt das hier«, fügte er hinzu. »Du kennst das alles, aber was ich gesehen und getan habe, seit wir hier angekommen sind, hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Nichts hier ist so, wie ich es mein Leben lang kenne. Da stehe ich nun, drauf und dran, mit einer Gruppe äthiopischer Revolutionäre auf einen riesigen See hinauszufahren, um die Bundeslade vor einer Bande von Templern zu retten.«
Sie lachte und nahm seine Hand.
»Vielleicht werden wir nie die ganze Geschichte erzählen können, die hier gerade passiert. Du hast recht: Keiner wird sie glauben. Aber wir müssen so handeln. Das ist unsere moralische Pflicht ebenso wie die der Männer, die bei uns sind, wenn auch aus anderen Gründen. Wenn wir Erfolg haben,müssen wir dafür sorgen, dass die Bundeslade an einen sicheren Ort gelangt. Wir müssen die Mörder entlarven, hinter denen wir her sind, und sie festnehmen oder von den zuständigen Behörden festnehmen lassen. Und wir müssen einen Bericht über die Tempelritter abfassen, darüber, wer sie sind und was sie getan haben.«
»Und dann?«, fragte er. »Was tun wir danach? Wir können doch nicht einfach nach Cambridge zurückkehren und weitermachen wie bisher. Vor allem habe ich mich in dich verliebt. Aber du hast vielleicht andere Bindungen hier in Äthiopien oder in London.«
Jetzt erzählte sie ihm zum ersten Mal von Damiachew. Als sie damit fertig war, verlor sie alle Beherrschung, klammerte sich an ihn und weinte bitterlich. Denn sie wusste, dass Conor zu lieben bedeutete, mit ihrem toten Ehemann abzuschließen, ihn gleichsam tief in ihrem Inneren, in ihrem Herzen zu begraben. Das war kein Ende der Liebe, glaubte sie, aber ein Ende dessen, was sie bisher durchs Leben getragen hatte und nun durch eine andere Liebe in einem anderen Bett ersetzt wurde. Sie
Weitere Kostenlose Bücher