Die Templerverschwoerung
Gedanken in ihren Gesprächen auf. Sie erinnerten sich an alte Freunde, die in der Zeit des Derg gestorben waren, an andere, die es nicht mehr gab, sie sprachen über Krankheiten unter Familienangehörigen und Freunden. Vom Tod eines Kindes, das der Liebling eines der Männer gewesen war. Vom Tod einer Ehefrau, deren schöne Augen sich für immer geschlossen hatten. Von der Hungersnot, da sie durch verdorrte Landschaften gefahren waren, in denen die Gerippe von Rindern und Menschen bleichten, über die der Staub hinwegfegte. Damit bereiteten sie sich auf die ganz reale Möglichkeit vor, dass einer oder mehrere unter ihnen von dieser Reise nicht lebend zurückkehren würden. Dann stimmte Mechela wieder ein Lied an, und alle fielenein, Mariyam mit ihnen. Sie lachten über den Sarkasmus in den Bolels und waren zu Tränen gerührt von den Balladen, die Mechela allein vortrug.
Gegen Morgen übermannte einige der Schlaf. Conor, der den Gesprächen und Liedern nicht folgen konnte, hatte es sich auf einem kleinen Kissen aus Gershoms Haus bequem gemacht. Auch Mariyam nickte immer wieder ein. Wenn sie aufwachte, hatte der Mann am Steuer gewechselt, und sie war beeindruckt von der militärischen Exaktheit, die sich hinter dem lockeren, kameradschaftlichen Umgang der Männer verbarg. Sie waren keine Amateure, das spürte sie, sondern erfahrene Kämpfer, die es mit starken Gegnern aufnehmen konnten.
Dann durchfuhren sie die große Schlucht des Blauen Nils, und Mariyam war traurig, dass es Nacht war. Conor, da war sie sicher, wäre von dem größten Canyon Afrikas begeistert gewesen, der sich mit dem Grand Canyon in den USA durchaus messen konnte. Sie hatte ihn Dutzende Male bewundert und hoffte, dass es auf ihrer Rückfahrt hell sein würde. Wenn es eine Rückfahrt überhaupt gab.
Durch die Frontscheibe sah sie, wie das Scheinwerferlicht des Minibusses von der Dunkelheit wie von einem festen Gegenstand abprallte. Wenn ein Bus, ein PKW oder LKW ihnen entgegenkam, wurde das Innere ihres Fahrzeugs ein paar Sekunden lang in kaltes Licht getaucht. Der Fahrer wechselte alle Stunde – ein großer Vorteil gegenüber den Busfahrern, die endlos lange Zeit hinter dem Steuer ausharren mussten.
In den frühen Morgenstunden erreichten sie die Stadt Bahir Dar am Tanasee. Der kleine Kurort schien von dem dichten Verkehr und den Hochhäusern Addis Abebas Welten entfernt. Palmen säumten die breiten Straßen, überall flogen tropische Vögel in rotem, blauem und goldfarbenem Gefiederumher, Flusspferde und Krokodile schwammen in See und Fluss, denn hier entsprang der Blaue Nil.
Gershom musste seinen Plan umstellen. Zunächst hatte er die Insel sofort nach ihrer Ankunft angreifen wollen. Jetzt aber sah er, wie töricht das gewesen wäre. Sie wussten nicht, auf wie viele Verteidiger sie stoßen würden, wie gut bewaffnet diese waren und ob sie Schutzbauten errichtet hatten. Um mit all diesen Unwägbarkeiten fertig zu werden, mussten sie das Überraschungsmoment nutzen. Sie konnten die Templer aber nicht überraschen, wenn sie bei hellem Tageslicht über die riesige Wasserfläche fuhren. Dieses würde ihnen zwar bei der Navigation helfen, konnte aber ihren Gegnern Zeit geben, um Ausweichmanöver zu starten, ja sogar die Bundeslade an einen anderen Ort zu schaffen. Ein Motorboot zu benutzen verbot sich von selbst: Das Geräusch hätte die Männer der Insel sofort alarmiert.
Es gab nur einen Weg, um sicherzugehen, dass die Überraschung gelang. Sie mussten die Insel mit Tankwas ansteuern, den Booten aus Papyrusschilf, die, mit ein bis drei Passagieren beladen, nur knapp über der Wasseroberfläche schwammen. Abbildungen dieser Boote schmückten bereits die Gräber ägyptischer Pharaonen. Die Fischer fahren damit noch heute auf den See, werfen ihre Netze aus und fangen den Fisch auf dieselbe Weise, wie es ihre Vorfahren vor über dreitausend Jahren getan haben. Die winzigen Boote sind leicht, gut zu manövrieren und völlig geräuschlos.
Gershom brachte seine Mitstreiter im Ghion Hotel der Stadt unter, dessen Rasenflächen bis an den See heranreichten. Diese noble Unterkunft hatte er gewählt, damit sie sich gut verpflegen und für den Rest des Tages ausschlafen konnten. Bedilu und Wendimu entschieden sich dafür, auf Ruhe zu verzichten und nach Werota, einer kleinen Stadt etwa sechzigKilometer entfernt, zu fahren. An ihrem Rand stand die Kirche Kristos Samra. Wie Tausende andere war Bedilu als junger Mann dorthin gepilgert, um Heilung für sein
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