Die Terranauten 042 - Der Sammler
während sie zu der etwa zehn Zentimeter durchmessenden Scheibe Ariochs hinaufstarrte, dann hätten die Menschen diesen furchteinflößenden Planeten sicherlich zu ihrem ersten Gott gemacht.
Zu einem grausamen Gott allerdings, den man nur mit Menschenopfern besänftigen konnte …
»Kommt doch mal her, und schaut euch das an!« ertönte plötzlich die aufgeregte Stimme Ennerk Primes von der anderen Seite der Seerosenqualle. »Ich glaube, ich habe gerade einen alten Bekannten entdeckt!«
Lyda Mar runzelte die Stirn und arbeitete sich an der organischen Reling entlang hinüber zu dem sechzigjährigen Treiber. Damon Credock folgte ihr auf dem Fuße.
Ennerk Prime wies mit ausgestrecktem Arm hinaus in das Watt. »Das muß eines der Biester sein, vor denen man uns auf dem Fest gewarnt hat. Seht nur, wie groß dieses Exemplar ist!«
Ockerfarbene, teilweise mannsdicke Pflanzenstränge zogen sich dicht neben dem Kanal durch den Schlick. Von den dicken Hauptsträngen gingen dünnere, weit verästelte Fasern ab, die eine Art Netz bildeten, dessen Ausdehnung man von der Seerosenqualle aus nur ahnen konnte. Das dichte Fasergeflecht, das beängstigend an ein Knäuel durcheinanderkriechender Schlangen erinnerte, mochte sich über mehrere Quadratkilometer erstrecken.
Vielleicht war die Pflanze in Wirklichkeit aber noch viel gewaltiger, denn wer vermochte schon zu sagen, wie weit sie sich noch unter dem Schlamm des Wattenmeeres fortsetzte?
Auch auf der anderen Seerosenqualle hatte man jetzt offenbar das Monster entdeckt. Die erregten Stimmen von Suzanne Oh, Aschan Herib und Onnegart Vangralen waren in der bedrückenden Stille nicht zu überhören. Lyda konnte sogar einzelne Worte und Satzfetzen verstehen.
»… Widerwärtig …«
»… Das da in den Schlingen … Mein Gott …«
Die junge Terranautin schaute genauer hin – und hielt erschrocken den Atem an.
Sowohl die Hauptstränge als auch die feineren Fasern bildeten in unregelmäßigen Abständen große und kleine Schlingen. Und in eben diesen Schlingen baumelten merkwürdig deformierte Objekte!
Der zerquetschte, halb auseinandergerissene Körper eines riesigen Fisches.
Die bereits in Verwesung übergegangenen, kaum noch identifizierbaren Überreste einer Seerosenqualle.
Und dort, rot und weiß, ein bis zur Unkenntlichkeit zermalmtes Etwas, das vielleicht einmal ein … Mensch gewesen war?
Bevor die Teilnehmer der Expedition jedoch Einzelheiten hätten ausmachen können, waren die Seerosenquallen bereits an diesem Abschnitt der weit ausgedehnten Pflanze vorbeigeglitten.
Lyda Mar schluckte, um den in ihr aufsteigenden Brechreiz zu unterdrücken. Zugleich erinnerte sie sich voller Schauder wieder an die schrecklichen Minuten unmittelbar nach ihrer Landung auf Sarym, als Suzanne Oh mit dem Fuß in einer der tückisch unter dem Sand verborgenen Schlingen hängengeblieben war. Erst Sekunden vor dem Start des Garden-Ringos hatte Ennerk Prime die einzige empfindliche Stelle der ockerfarbenen Monstrosität entdeckt – eine winzige Knospe. Ohne Ennerks todesmutige Hilfsaktion wäre Suzanne Augenblicke später vom Triebwerksstrahl des abhebenden Ringos zu Asche verbrannt worden.
Lyda überwand ihren Ekel und unterzog den nächstgelegenen Hauptstrang der widerlichen Pflanze einer eingehenden Musterung.
Tatsächlich mußte sie nicht lange suchen, bis sie auch an diesem Strang eine der Knospen entdeckte.
Nur durchmaß die hier fast dreißig Zentimeter!
Eingefaßt wurde die Knospe von einer Art Deckblättchen, die in einem tiefen, fast schwarz wirkenden Purpur schimmerten. Die eigentliche Knospe selbst war ockerfarben mit kleinen goldenen Einsprengseln.
Der Anblick brachte eine Saite in Lydas Geist zum Klingen. Diese Knospe, die sich in Form und Farbe so merkwürdig von allem anderen pflanzlichen Leben auf Sarym unterschied, kam ihr irgendwie bekannt vor. Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, eine solche Knospe schon einmal gesehen zu haben.
Natürlich damals, als Ennerk Prime die um ihr Leben kämpfende Suzanne befreit hat, meldete sich die Stimme der Vernunft in ihr zu Wort. Woher solltest du diese Art von Knospen auch sonst kennen?
Lyda spürte, daß diese so naheliegende Erklärung nicht ausreichte.
Unwillkürlich schaute Lyda noch intensiver hin, konzentrierte sich ganz auf das in purpurnes Schwarz gefaßte Herz der Knospe …
… und wurde mit unwiderstehlicher Macht in einen mentalen Sog hineingezogen, der so kraftvoll war, daß er ihr innerstes Selbst
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