Die Terranauten 071 - Der Jahrmillionen-Fluch
erst von der Stimme der schönen Frau unterbrochen:
»Es ist gut; ich weiß mich zu beherrschen. Ich frage nicht mehr länger nach dem Sinn dieser Exkursion.«
Cantos erschien plötzlich verändert. Man konnte ihm keine Gefühlsregung ansehen, wenn man die jeweilige Farbintensität seines roten Zyklopenauges nicht zu deuten wußte. Aber sein Tonfall war anders.
Oder war es nur Theater? Ein Wesen, das jede Art von Geräusch erzeugen konnte wie eine Lautsprechermembran, war schwer einzuschätzen.
»Sie werden alles nach und nach erfahren, liebe Chan de Nouille.« Es klang ernst, vielleicht auch ein wenig verschlossen.
Doch Chan de Nouille hütete sich davor, es deuten zu wollen.
Sie betrachtete den Außerirdischen aufmerksam. Bei den bisherigen Begegnungen von Menschen mit dem Genessaner war Cantos sehr menschlich aufgetreten. Er handelte wie ein Mensch. Selbst als er zur Erde zurückkehrte, um das Ultimatum der Sterne zu verkünden, hatte er sein Image als menschenähnliches Geschöpf gewahrt.
Aber als er jetzt Chan de Nouille gegenübersaß, wußte die Große Graue, daß diese Menschenähnlichkeit täuschte. Cantos blieb ein Alten, ein völlig fremdes Wesen, das nicht nach menschlichen Maßstäben zu beurteilen war.
Die Begründung von Cantos, daß er erst durch Karel Krystan und dessen Erinnerungen menschliche Verhaltensweisen gelernt hatte, erschien ihr überzeugend. Und Cantos nutzte seine Kenntnisse aus, um die Menschen für sich einzunehmen!
Sie lehnte sich zurück. Cantos hatte sicher einen Teil ihrer Gedankengänge telepathisch verfolgen können. Das war ihr recht so.
Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Wie lange wird es noch dauern?«
»Ich denke, Sie wollen nicht mehr fragen?«
»Gestatten Sie diese kleine Ausnahme?«
»Zeit ist ein relativer Begriff. Wir sind unterwegs, um eine Strecke zurückzulegen, die keines Ihrer Schiffe bewältigen könnte – zumindest nicht in einer annähernd akzeptablen Zeit«, verbesserte er sich.
»Das Ziel liegt außerhalb unserer Galaxis?«
Ihr Oberkörper schoß vor wie der Rumpf eines Habichts, der sein ersehntes Opfer endlich gefunden hatte.
Cantos wußte durchaus, was ein Habicht war – durch Karel Krystan.
Gern hätte er jetzt gelächelt, aber bei aller Perfektion in der angepaßten Sprache war es ihm bis jetzt noch nicht gelungen, ein einigermaßen glaubwürdiges Mienenspiel zu veranstalten. Die Muskeln dazu hatte er, aber wenn er ein Lächeln versuchte, wurde meistens eine furchterregende Grimasse daraus.
Cantos hatte es aufgegeben. Sein unmenschliches Gesicht blieb maskenhaft starr.
Obwohl es ihm nichts ausgemacht hätte, die Große Graue zu erschrecken.
Er haßte sie, wenngleich in ganz anderer Weise, als ein Mensch haßt. Für Cantos war dieser Haß etwas anderes als nur ein bloßes Gefühl oder das Bedürfnis zur Vernichtung eines Wesens, was man vielleicht gar nicht rational erklären konnte. Für Cantos war es ein logisches Kalkül. Chan de Nouille hatte es bereits angesprochen: Sie war neben Max von Valdec der Dreh- und Angelpunkt für das Negative – nicht nur für die Menschheit, sondern längst für die Völker der Galaxis, nachdem die Versuche, Kaiserkraft drastisch einzudämmen, nicht ganz die erwarteten Früchte trug. Ohne Kaiserkraft kam man im Sternenreich der Menschheit nicht mehr aus. Es würde noch eine Weile dauern, bis eine zweite Treiberraumfahrt aufgebaut war, und während dieser Zeit wurde man von den wenigen verbliebenen Treibern abhängiger denn je.
Dies allein war schon Grund genug für Menschen wie Chan de Nouille, weiter auf die Kaiserkraft zu pochen und damit auf die Unabhängigkeit von den Treibern und Terranauten. Man hatte die Kaiserkraft-Flüge drastisch eingeschränkt, aber für wie lange?
Der größte Alptraum für ihresgleichen war der Verlust ihrer Macht. Valdec hatte sich der endgültigen Niederlage im letzten Moment entzogen. Niemand wußte genau, wo er sich zur Zeit befand. Irgendwo in der Galaxis und mit Sicherheit dabei, seine Rückkehr vorzubereiten.
Man konnte es Haß nennen, was Cantos gegen die Große Graue empfand, aber in Wirklichkeit war es das Ergebnis seiner Hilflosigkeit, ein solches Intelligenzwesen zu begreifen. Und weil er ein in seinem Auge so erschreckend grausames und machtgieriges Geschöpf nicht begriff, hatte er sich in Karels Empfindungen die einzige passende Gefühlsschablone gesucht: Haß. Wäre Chan eine Genessanerin gewesen, hätte Cantos nur eins für sie empfinden
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