Die Terranauten TB 08 - Die graue Spur
umspielten. Sie blitzten und funkelten beständig in einem silbernen Licht, das einen reizvollen Kontrast zu dem dunkelroten Glosen darstellte, das von dem Stranggewirr des Rumpfes ausging.
Atemlos starrte ich die Diirn an, die uns in ihrem unsichtbaren magnetischen Netz gefangen und nun bemerkt hatte, daß ihre Beute sich von den ungefügen Metall- und Felsbrocken unterschied, denn ein konträres elektromagnetisches Feld ließ die SIMON BOLIVAR aus dem Trümmerpulk ausscheren. Vertikal zu unserem bisherigen Kurs stiegen wir über die Ebene des künstlichen Asteroidenrings empor, bis wir schließlich in gleicher Höhe mit dem Kopf der Diirn waren.
Dann, so abrupt, daß die Andruckabsorber bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit belastet wurden, fiel unsere Geschwindigkeit auf Null.
Die Schwingen der Diirn bewegten sich nicht, als sie wie ein bizarrer Schmetterling den Asteroidenring hinter sich ließ und sich unserem Schiff näherte. In einem Abstand von nicht mehr als dreißig oder vierzig Meter von der Bugkugel kam das fremde Lebewesen zum Stillstand.
Der monströse Kopf mit seinen milchig hellen Wucherungen hing direkt über der Protopkuppel der Logenplattform. Ich blickte in die geschliffenen Facetten der dem Raum angepaßten Sinnesorgane, und plötzlich überfiel mich der Drang, mich zu verstecken, mich irgendwo zu verkriechen, vor diesen sezierenden nichtmenschlichen Blicken zu fliehen. Es war unheimlich still im Schiff.
Ich weiß nicht, ob es nur eine Folge unseres Schocks oder gar die Folge einer Art hypnotischer Ausstrahlung war, die von der Diirn ausging, aber keiner von uns vermochte auch nur einen Finger zu krümmen.
Wir saßen da und ließen die Musterung des fremden Geschöpfes über uns ergehen.
Tausend Gedanken wirbelten in meinem Kopf. War diese Kreatur eine Verbündete der Grauen? Und wie konnte sie im Weltraum existieren? Was war das für ein Metabolismus, der es ihr erlaubte, Kälte, Vakuum und kosmischer Strahlung zu trotzen? Wovon ernährte sie sich? Und woher bezog sie die Energie für das elektromagnetische Kraftfeld? Wie war es den Grauen gelungen, sie zur Kooperation zu bewegen? Die Diirn – natürlich erfuhr ich erst später von ihrem Namen – die Diirn versorgte den gigantischen Industriesatelliten der Grauen mit Rohstoffen; soviel war klar. Aber welche Gegenleistung erhielt sie? Und vor allem – warum rührten sich die Grauen nicht? Sie mußten uns inzwischen geortet haben.
Von einer Sekunde zur anderen verfärbte sich der halb transparente Strangkörper der Diirn. Aus dem Rot wurde Orange, dann Gelb, schließlich Weiß. Ein Weiß, das in den Augen brannte.
Grelle Lichtfluten schossen aus dem Nixenschweif.
»Photonenschub«, hörte ich Mandorlas nüchterne Stimme neben mir. »Der Extraterrestrier scheint eine Art organischen Photonenbrenner zu besitzen.«
Ich nickte.
Langsam glitt die Diirn auf dem Photonenkissen davon. Lange noch glühten die Lichtfluten im Schwarz des Weltraums nach, bis sie endlich erloschen.
Wir waren wieder allein.
Allein mit der riesigen, zusammengeflickten Station der Grauen Garden.
»Ein Engel«, sagte Codette. »Ich habe einen Engel gesehen.«
Ich kramte in meinem Gedächtnis. Engel? Offenbar ein Begriff aus dem Christentum, einer bis zum Ende des 21. Jahrhunderts weit verbreiteten monotheistischen Religion des historischen euro-amerikanischen Kulturblocks. Ein Engel war ein geflügeltes, gutartiges Wesen, das – soweit ich mich erinnerte – als Mittler zwischen Gott und Gläubigen gedient hatte. Seltsam, daß Codette diesen Begriff kannte. Meines Wissens gab es nur noch auf einer Handvoll Kolonien christliche Sekten, deren Glaubensbekenntnis allerdings auch buddhistische, zoroastrische und neo-islamische Elemente einschloß.
Ich sah zu der Treiberin hinüber, und die durchscheinende Blässe ihrer Haut erschreckte mich. Ja, dachte ich, sie brennt aus. Der Verfall beschleunigt sich. Sie wird weniger und weniger, und vielleicht wird nicht einmal Asche von ihr übrigbleiben. Der Weltraum II verschmäht nichts. Er nimmt alles, was er bekommen kann.
Cram räusperte sich.
»Noch immer kein Funkverkehr«, sagte er mit einer Handbewegung zum Panoramamonitor, auf dem das Simulationsbild der Garden-Industriebasis deutlich zu erkennen war. »Ich verstehe das nicht. Warum ignoriert man uns?«
Das Mutagen fiel mir ein; Zarr, wie er unter dem schwarzen Himmel von Coldgrave wie vom Blitz getroffen in den Gasschnee sank. Mandorla suchte meine Augen.
Weitere Kostenlose Bücher