Die Terranauten TB 08 - Die graue Spur
Strahlung zu hinterlassen und die menschlichen Gegner zu töten.
Ich glaube nicht, daß die Garden vorhatten, bei ihren Angriffen auf die Bio-Welten diese Raketen mit Neutronensprengköpfen zu laden. Diesmal ging es nicht um die Eliminierung feindlicher Führungskräfte, sondern um die Verwüstung ganzer Planeten. Wahrscheinlich wollten die Grauen »reine« oder mit einem Kobalt-Mantel versehene Wasserstoffbomben einsetzen. Oder Antimaterie-Sprengköpfe. Aber auch chemische oder biologische Kampfstoffe waren denkbar, Kampfstoffe, von denen wenige Kilogramm genügten, um eine bewohnte Welt von der Größe der Erde zu entvölkern.
In den Arsenalen der Grauen Garden lagerten sämtliche Tötungswerkzeuge, die der Mensch im Lauf seiner gewalttätigen Geschichte erfunden hatte.
Wir flogen weiter, tauchten unter dem »vertikalen« Containerring hinweg und funkten ununterbrochen.
Keine Antwort.
Das Gefühl, sich dem Ort einer schrecklichen Katastrophe zu nähern, verdichtete sich bei mir allmählich zur Gewißheit.
Der Industriesatellit produzierte noch, gewiß; die Schlepper schafften die Erzbrocken aus dem Rohstoffring heran, die Hüttenwerke unter den Rümpfen der alten Kaiserkraft-Schiffe verarbeiteten sie weiter, und aus den offenen Schleusen des Cosmodroms spuckten die automatischen Fabriken unablässig Fertigbauteile ins All, die von mobilen Computersystemen abtransportiert, verschweißt, zu Raumschiffen und Raketen zusammengesetzt wurden. Aber die Aktivität täuschte nicht darüber hinweg, daß es Pannen gab und daß sich die Pannen häufen würden.
Keine automatische Fabrik kann über längere Zeit völlig sich selbst überlassen werden. Selbst ein perfektes Fertigungsprogramm bedarf der Kontrolle durch den Menschen. Ohne regulierende Eingriffe kommt es früher oder später zu Fehlfunktionen, die sich gegenseitig hochschaukeln und irgendwann zu einem ernsten Defekt führen.
Der Industriesatellit war diesem Punkt bereits sehr nahe.
Mehrfach beobachteten wir Kollisionen der Schleppereinheiten; in zwei Schleusen hatten sich die vorgefertigten Bauteile verkantet und blockierten den Weitertransport; und etwa zwanzig Prozent der mobilen Computersysteme widmeten sich sinnlosen Tätigkeiten, irrten ziellos über die stachelige Oberfläche der Basis hinweg oder waren zur Inaktivität erstarrt.
»Eine Woche«, sagte Mandorla und meinte damit, daß der Industriesatellit seit einer Woche sich selbst überlassen sein mußte.
Als unsere Funkanrufe weiter ohne Erfolg blieben, schwenkten wir in eine Umlaufbahn ein und bereiteten ein Enterkommando vor.
Doch dann kam das Signal.
Wir hatten lange geklopft, ohne Antwort zu erhalten, und als man uns dann endlich öffnete, empfingen uns keine Graugardisten. Da war nur diese verrückte alte Frau, die zuviel gesehen hatte und die sich weigerte, die Realität zu akzeptieren, und da waren die stillen Gänge und die dunklen Nischen, in denen die grauen Männer lagen, so stumm, so kalt, so tot.
Die Frau hieß Anlyka terCrupp.
Einst war sie Generalmanag des Allwelten-Stahl-Konsortiums gewesen, jenes multistellaren Konzerns, der in den letzten Tagen der Konzilsherrschaft das Synonym für Terror und Mord geworden war. Der F.F.D.E. – der Befreiungsbewegung der irdischen Relax- und Arbiter-Kasten – war es nur mit knapper Not gelungen, die Macht von ASK zu brechen. Und als terCrupp auch noch versucht hatte, mit Hilfe eines umkonditionierten Cosmorals, des Kriegsherrn Gambelher, Chan de Nouille zu stürzen und selbst die Kontrolle über die Grauen zu übernehmen, war ihr Schicksal endgültig besiegelt gewesen. Die Garden hatten ASK zu einer verbrecherischen Organisation erklärt, sich auf Seiten der F.F.D.E. an den Kämpfen beteiligt und den Konzern schließlich zerschlagen. TerCrupp war von der Erde geflohen – an Bord eines Treiber-Schiffes unter dem Logenmeister Kalinken zur ASK-Filiale auf Stormprime. Bei dem Humo-Aufstand vor etwa vier Jahren war dieser Kalinken ums Leben gekommen, während sich terCrupps Spur ins Nichts verloren hatte.
Und hier – zehntausend Lichtjahre tief im Raum, im Versteck der Rest-Garden – stand uns die einst allmächtige Konzern-Herrin wieder gegenüber.
Uralt und verrückt.
Ich sehe sie noch immer vor mir.
Klein und zierlich, gebeugt unter der Last ihrer Jahre, das Gesicht rosig, gütig, runzlig. Sie hätte die Großmutter sein können, die sich jedes Kind wünscht, doch da waren ihre Augen und ihre Blicke – Blicke, die mich selbst
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