Die Terranauten TB 11 - Spektrum-Jagd
obgleich sein Mund geschlossen blieb. Es waren seine Gedanken, die die Pein kaum ertragen konnten. Aber nach und nach, als er nicht mehr versuchte, gegen den Schmerz anzukämpfen, als er vorgab, seine Niederlage zu akzeptieren, wich die Qual aus ihm zurück, und das mentale Flüstern Myriams und der Mistel, die sie benutzte, wurde stärker. David erholte sich langsam wieder, und als er die Augen öffnete, erkannte er vor sich – irgendwo in den ineinander verschlungenen Netzbahnen der Farbenfalle – einen matten Lichtschein, dem er sich näherte. Er ließ sich darauf zutreiben, bewegt von einem zunächst kalten Wind, dessen streichelnde Arme aber immer wärmer wurden. Ein Teil von Myriams Bewußtsein blieb bei ihm. Er spürte einen Hauch ihrer Empfindungen, lauschte Fragmenten ihrer Erinnerung – das imaginäre Band zwischen ihnen bestand weiter; es zerriß nicht einmal in der Nacht der Falle. Und das, was sie ihm mitteilte, was sie dachte und fühlte, waren Anker der Realität, an denen er sich festzuklammern vermochte. Das diffuse Funkeln vor ihm wuchs allmählich in die Breite, und aus der ihm entgegenwispernden Kälte wurde Wärme und schließlich Hitze. Kurz darauf hatte David nicht mehr das Empfinden, haltlos zu fallen. Unter seinen Händen fühlte er Sand, und als er den Kopf hob, starrte er auf das grelle Blinzeln einer hoch am Himmel stehenden Sonne. Um ihn herum erhoben sich curryfarbene Sandberge, und der Wind ließ Staubfahnen von den Kuppen der Dünen aufsteigen. David erhob sich langsam, und der Sand unter ihm knirschte und rieselte. Wüste – so weit das Auge reichte. Nichts lebte. Nichts atmete. Nichts bewegte sich. Nur der Sand, dessen Myriaden Körner nach der Melodie des Windes tanzten. David räusperte sich und sagte: »Auch das ist nur eine Illusion. Das darf ich nicht vergessen.« Und mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung. Er schritt am Rande einer der Dünen entlang, die sich wie die Rücken exotischer Geschöpfe aus der Ebene der Wüste erhoben. Er marschierte stundenlang. Aber der Stand der Sonne veränderte sich nicht. Das grelle Gestirn machte keine Anstalten, dem Horizont entgegenzusinken und dem einsamen Wanderer gegenüber Erbarmen zu zeigen. Sie glühte und gleißte und überschüttete die Wüste mit ihrer alles ausdörrenden Hitze. Zunächst schwitzte David noch, aber es dauerte nicht lange, bis er einen Großteil seiner Körperflüssigkeit eingebüßt hatte und seine Stirn trocknete. Seine Lippen wurden spröde, und die Zunge schwoll auf den doppelten Umfang an und kratzte rauh über den Gaumen. Seine Hände waren leer, und er versuchte nicht zu vergessen, daß er nach wie vor die Mistel bei sich hatte, die Blüte des Urbaums auf Fresco – einen mentalen Kompaß, der ihm den Weg weisen und ihn auf Gefahren hinweisen konnte.
Er traf auf ausgebleichte Gerippe in der Wüste, die kein Ende zu nehmen schien: Knochen, von denen alle Fleischreste abgenagt waren, spröde Tuchfetzen mit verblichenen Farben, Krüge, im Innern ebenso trocken wie der Sand. Waren das die Überbleibsel anderer Gefangener – die sterblichen Reste von PSI-Talenten, die ebenfalls in die Farbenfalle hineingeraten waren? David stolperte weiter, aber es gab kein Entkommen vor dem grellen Glanz am Himmel, vor der herabströmenden Hitze, die ihm fast das Blut in den Adern kochen ließ. Irgendwann veränderte sich die Szenerie um ihn herum. Er stieß auf eine breite Lache aus Treibsand. Er hatte die falsche Richtung eingeschlagen.
Ich darf die Hoffnung nicht aufgeben, dachte er und drängte den erneut in ihm aufkeimenden Schmerz zurück. Es gibt eine Möglichkeit weiterzukommen. Ich muß sie nur finden.
Er konzentrierte sich auf die Aura der Mistel, die er bei sich führte, ohne sie sehen oder fühlen zu können. Er vernahm eine flüsternde Stimme, die Ähnlichkeit hatte mit dem beständigen Wispern des Windes – die Stimme eines sterbenden Kindes der Uralten, eines Baumes, der Jahrmillionen und länger gelebt hatte, dann vom Eis umschlossen wurde und langsam verendete. Und als David wieder aufblickte, sah er einige Hölzer, die den einzig sicheren Weg durch die Treibsandzone markierten. Er setzte sich wieder in Bewegung, und die Spanten und Bretter knarrten unter ihm. Der Treibsand wirkte ganz harmlos, aber David wußte, daß ein falscher Schritt genügte, um …
Illusion, David, hauchte die ferne Stimme Myriams. Vergiß das nicht. Denk immer daran. Es ist die Falle. Nichts ist wirklich. Nur du selbst
Weitere Kostenlose Bücher