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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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unweit von Prag gegeben worden war und von der Welt nur das gesehen hatte, was man sah, wenn man sich im Kreuzgang auf den Rücken legte und in den blauen Himmel hinaufstarrte, nickte und seufzte. »Und Sie werden das Ihre tun, dass sie wohlbehalten hierher zurückkehrt?«
    »All unsere Wege sind in Gottes Hand«, sagte Pater Xavier und vermochte zu klingen wie jemand, auf dessen Rat Gott hören würde.
    »Amen, Pater Xavier.«
    »Amen, Schwester Oberin.«
    Die Oberin führte Pater Xavier durch den Kreuzgang, dessen Westflanke eingesunken und der daher unbrauchbar war, durch die ehemalige Klosterkirche der Minoriten, über deren blanken Dachsparren der Januarhimmel sichtbar war, und über einen ungepflegten Hof, in dem Gras und Unkraut hoch und gelb geworden stand und jetzt frostig weiß unter ihren Schritten splitterte und klirrte.
    »Ich hätte immer gedacht, dass es nicht so einfach ist, jemanden zur Sängerin auszubilden.«
    »Ich bin sicher, das junge Mädchen wird alle Erwartungen erfüllen.«
    »Aber Sie haben sie doch noch nie gesehen, Pater!«
    »Wir müssen mit dem Material arbeiten, das Gott uns gibt, nicht wahr, Schwester Oberin? Wenn wir es nicht tun, werden am Ende diese grässlichen gequälten Geschöpfe, die man zum Gaudium der Herrschenden auftreten lässt, in unseren Kirchen das Gotteslob singen.«
    Die Mutter Oberin erbleichte beim Gedanken an die Kastraten und beschleunigte ihren Schritt.
    »Ich möchte sie sehen, bevor sie mich sieht«, sagte Pater Xavier. »Ich möchte nicht unnütze Hoffnung in dem armen Geschöpf wecken.«
    Der ruinierte Gebäudetrakt im Südteil des Klosters, der sich an der äußeren Klostermauer entlangzog, war mit einem lecken Dach versehen worden; die schlimmsten Beschädigungen hatte man repariert. Die Verbesserungen sahen aus, als hätte jemand einem Leichnam Farbe ins Gesicht gemalt, um so zu tun, als stecke noch Leben in dem Kadaver. Pater Xavier folgte der Oberin in den Flügel, in dem früher weltliche Besucher des Klosters untergebracht gewesen sein mussten. Direkt nach dem klaffenden Loch, das einmal ein Portal mit vermutlich wertvollen Türflügeln gewesen war, erstreckte sich eine Reihe von niedrigen Türen, die in Mönchszellen führten und sich in der Dunkelheit verloren, die sich rund um eine einzelne Unschlittkerze zusammenballte. Wenn es überhaupt möglich war, war es hier noch feuchter und kälter als draußen. Die Minoriten hatten seinerzeit dafür gesorgt, dass ihre Besucher das Armutsgelübde des Franz von Assisi empfanden; nun, leer stehend und mit all den Schäden, war der Anblick nur noch trostlos und gemein.
    Die Oberin stieg vorsichtig über den aufgebrochenen Steinboden und nahm die Kerze aus der Halterung. Sie winkte Pater Xavier, stehen zu bleiben, und machte sich an einer der Türen zu schaffen. Sie war nicht verschlossen.
    »Bleiben Sie hier in den Schatten«, sagte die Oberin. Dann steckte sie den Kopf in die geöffnete Tür und sagte freundlich: »Yolanta, mein Kind, komm heraus.«
    Nach ein paar Augenblicken schlich eine zerfledderte Gestalt in den Gang und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Flamme. Sie war in zerrissene Decken gehüllt; ihr Haar war zerzaust und strähnig. Die Oberin nahm sie an der Schulter und drehte sie sanft herum; die Kerzenflamme beschien ein Gesicht, über das sich Schmutzstreifen zogen.
    »Wer ist da?«, sagte die Gestalt. Sie warf den Kopf herum und blies die Kerzenflamme aus, bevor die Oberin reagieren konnte. Pater Xavier sah ihr Abbild in Komplementärfarben vor seinen Augen tanzen. Er hörte, wie sie in ihre Zelle zurückschlüpfte. »Wollen Sie mich vorführen, Mutter Oberin? Was soll das?«
    »Ich will dir nur helfen, mein Kind.«
    Pater Xavier lächelte. Was er von dem Gesicht der jungen Frau unter dem Schmutz gesehen hatte, war, wenn man sich ein bisschen rundere Wangen und ein etwas weniger verhärmtes Aussehen vorstellte, makellos gewesen, ein Diamant, den man lediglich polieren musste, damit er wieder funkelte. Der Name passte zu ihr – altgriechisch: zart und schön. Jemand hatte entweder keine Ahnung gehabt, als er den Namen für dieses Kind ausgesucht hatte, oder jede Menge Hoffnung. Was das Aussehen anging, hatte sich die Hoffnung erfüllt, was das Leben betraf, in das das junge Mädchen entlassen worden war – nun, das Zusammentreffen beider Umstände war genau, was Pater Xavier gesucht hatte. »Perfekt«, flüsterte er.
    Die Mutter Oberin tastete sich zu Pater Xavier nach vorn. Er

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