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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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fasste sie zuvorkommend am Arm und führte sie nach draußen ans Licht. Sie hielt die ausgeblasene Kerze in der Hand und war sprachlos vor Verlegenheit.
    »Das war – Sie dürfen nicht glauben – Wir haben sie nur überrascht –«
    »Was hält sie hier? Warum öffnet sie nicht einfach die Tür und geht?«
    Die Mutter Oberin seufzte. »Weil sie hofft«, sagte sie. »Nur die Mädchen, die noch hoffen, haben eine Chance auf Rettung.«
    »Und worauf hofft sie?«
    »Darauf, dass sie ihr Kind zu sich nehmen kann, wenn sie sich von ihrem Makel befreit hat.«
    »Sie hat ein Kind?«
    »Es braucht wenig, um eine gefallene Frau zu werden, Pater Xavier. In dieser Stadt trennt nur eine Haaresbreite die Sünde von der Sicherheit.«
    »Wo ist das Kind jetzt?«
    »In einem Findelhaus. Ich kann Ihnen die Adresse geben.«
    »Perfekt«, sagte Pater Xavier.
    Die Adresse, die die Mutter Oberin ihm genannt hatte, befand sich auf der Kleinseite, eine dunkle Burg von Haus direkt an der westlichen Stadtmauer, die von Karmelitinnen geleitet wurde. Pater Xavier fand hier eine ähnliche Grausamkeit wie in Sankt Agnes, nur dass die Härte an diesem Ort durch keinerlei Hoffnung gemildert wurde. Die Kinder, die überlebten, würden hinausgehen, um ein Leben zu führen, das zuallererst zu weiteren Kindern führte, die wiederum hier einpassierten, und wenn es einem der ehemaligen Insassen gelang, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, dann würden es die Karmelitinnen niemals erfahren. Die Mutter Oberin in Sankt Agnes hatte, wenn auch keinen Dank, so doch wenigstens die Genugtuung, zu wissen, dass sie zuweilen eines ihrer Schäflein retten konnte; die Karmelitinnen hatten nicht einmal das. Ihre Priorin hatte die Hautfarbe einer Todkranken und den müden Gesichtsausdruck von jemandem, der schon lange aufgegeben hat, nach dem vermeintlichen Edelstein in der Asche seines Lebens zu suchen. Sie nahm Pater Xavier in einen Verschlag mit, der sich als ihre Zelle und gleichzeitig als Schreibstube des Findelhauses herausstellte.
    »Wir haben hier ein Kind von einer Mutter namens Yolanta Melnika, wobei der Name nichts bedeutet außer vielleicht, dass die Mutter in der Nähe einer Mühle lebte oder ein Müllersknecht sie geschwängert hat oder es das Erste war, was ihr einfiel, als sie danach gefragt wurde.«
    »Wann wurde das Kind hierhergebracht?«
    »Vor nicht ganz drei Monaten – ein Herbstbalg.«
    »Wie lautet sein Name?«
    »Zwölfter November.« Die Priorin zuckte mit den Achseln. »Wenn an diesem Tag zwei eingeliefert worden wären, hätte es noch eine Nummer. Wer kümmert sich um die Namen? Selbst wenn die Mütter sich die Mühe machten, diesen Geschöpfen einen Namen zu geben, würden wir ihn nicht erfahren. Es sind nicht die Mütter, die zu uns kommen und uns diese schreienden Bündel auf die Schwelle legen, sondern die Büttel, die die Mütter verhaftet haben.«
    »Wie alt war es damals?«
    Die Priorin spähte in ihre Liste. »Drei, vier Wochen, so genau kann man das nie sagen. Diese Oktoberkinder sind wie Herbstkätzchen – stets viel zu klein und zu dünn. Die meisten von ihnen sehen nicht einmal mehr das Weihnachtsfest.«
    »Das ist das Kind, das ich suche. Hat es das Weihnachtsfest gesehen?«
    Die Priorin fuhr mit dem Finger die Zeile entlang, quer über die ganze Seite des mit Stricken gebundenen Folianten.
    »Nein«, sagte sie knapp. »Es hat nicht einmal die heilige Barbara gesehen. Es ist zwei Wochen nach der Einlieferung gestorben.«
    Pater Xavier schwieg einen Moment. »Wo ist es begraben?«
    Die Priorin deutete stumm in eine Richtung. Pater Xavier wusste, dass dort die Stadtmauer lag. Jenseits der Stadtmauer war ein stets offenes Massengrab, das von Knechten des Stadthenkers bewacht wurde. Jedweden Leichnam, den man ihnen brachte, warfen die Knechte in die Senke und bedeckten ihn mit Erde und Kalk. Sie waren Fährmänner der Unterwelt ganz besonderer Art, denen man keinen Obolus zu entrichten brauchte, weil diejenigen, die ihre Toten zu ihnen brachten, in der Regel nichts besaßen. Pater Xavier dachte an einen formlosen, kleinen Sack, der den Knechten keinerlei körperliche Mühe bereitet haben würde.
    »Das Kind war ein Junge«, sagte Pater Xavier.
    Die Priorin konsultierte ihre Liste. »Stimmt«, sagte sie.
    »Es hieß Wenzel.«
    Die Priorin zuckte mit den Schultern. »Sehr unpassend«, sagte sie.
    »Die Mutter besaß Hoffnung«, sagte Pater Xavier.
    Die Priorin hob erneut die Schultern. »Sehr unpassend«, sagte sie zum

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