Die Teufelsbibel
Innozenz’ IX. wohl dauern würde.
Natürlich hatte er in dieser Zeit, als die Wälder um Prag sich in lohendes Gold verwandelten, dann ihr Festkleid verloren und in Gräue und Schimmelfarbe zerfielen und sich zuletzt in das schmutzfarbene Leichentuch des Schnees hüllten, nicht ausschließlich im Gebet verharrt. Er war nicht mehr im Hradschin gewesen; aber es gab viele Möglichkeiten, das Kommen und Gehen einer bestimmten Person dort zu überwachen, ohne selbst vor Ort sein zu müssen. Pater Xavier hätte jederzeit ohne Nachdenken in die Rolle des jungen Mannes schlüpfen können, der Kaiser Rudolf nach der Begegnung mit einem bestimmten Gespenst auf der Treppe des Dienstbotentraktes beruhigt hatte; so gut kannte er ihn mittlerweile.
Andrej von Langenfels lebte vollkommen allein in einem der Häuschen in der Goldmachergasse und schien, seit er dort eingezogen war, in die Starre verfallen zu sein, auf der Pater Xaviers letzte Anweisung für ihn selbst insistiert hatte. Er verließ seinen Unterschlupf nur, wenn der Kaiser ihn holen ließ oder wenn er in ein Bordell ging.
Es gab die Geschichte von der Tanzveranstaltung, die Kaiser Rudolf zu Ehren des Bildnisses veranstaltet hatte, das ihn als Vertumnus zeigte, als eine abscheulich obszöne Fratze, zusammengesetzt aus Gemüse und Feldfrüchten, an dem Rudolfs bizarre Seele Gefallen gefunden hatte. Rudolf hatte seinen fabulator principatus dazubefohlen, doch während aller Tänze hatte der junge Mann abseitsgestanden. Kaiser Rudolf schien ihn vergessen zu haben, und niemand sonst machte sich die Mühe, ihn einer der anwesenden Hofdamen vorzustellen, was sich gehört hätte, selbst wenn man sich bereits kannte. Hatte Andrej versucht, einer der Frauen zuzulächeln, hatte diese sich umgedreht und war in die entfernte Ecke des Saals geschritten. Es hatte sich die seltsame Situation ergeben, dass auf der einen Seite des Saals genügend Frauen herumstanden, die auf einen Tanzpartner warteten, während auf der anderen Flanke ganz allein Andrej von Langenfels stand, aus mangelndem Mut oder aus Resignation klug genug, keine der Schönheiten aufzufordern. Am Ende wollte ihn jemand in einem der angrenzenden Räume gesehen haben, wie er mit einer ältlichen Dienstmagd zu den dumpf herüberklingenden Melodien tanzte, die Dienstmagd verlegen kichernd und rot im Gesicht und sichtlich nur deshalb nicht auf der Flucht, weil sie Andrej fälschlicherweise für jemanden hielt, dem sich zu widersetzen nachteilige Konsequenzen gehabt hätte.
Und es gab die Geschichte, dass Andrej von Langenfels nicht nur einmal bei seinen Besuchen im Bordell das Mädchen seiner Wahl nicht gevögelt, sondern sich mit ihr unterhalten, sie mit einem verzweifelten Redefluss zugedeckt hatte, den sie mit demselben gelangweilten Gesichtsausdruck über sich ergehen ließ, den sie zweifellos gezeigt hätte, wenn er versucht hätte, sich auf ihr liegend den Dämon Einsamkeit aus dem Leib zu rammeln – anstatt ihn mit Reden zu bannen.
Alle weiteren Geschichten fielen in dasselbe Muster. Pater Xavier hatte die Schilderungen in seinem unbestechlichenGedächtnis aneinandergereiht und zu einem Bild geformt. Als die neue Nachricht eintraf, war Andrej von Langenfels bereits Wachs in den Händen Pater Xaviers, ohne dass die beiden sich einmal begegnet wären oder dass Andrej auch nur um die Existenz des Dominikaners gewusst hätte. Pater Xavier hatte ihn in der Hand; er hatte nur noch nicht zugedrückt und mit dem Verformen begonnen.
Pater Xavier sah zu, wie das Kügelchen, zu dem er die Botschaft gedreht hatte, verbrannte. Dann verließ er seine Zelle.
Die Gassen Prags lagen in der Stille eines zwielichtigen Januarnachmittags. Die Glocken aller Kirchen schwiegen. Pater Xavier wusste, dass es mit diesem Schweigen spätestens morgen vorbei sein würde; er war zu sehr Realist, um nicht zu wissen, dass er nicht der Einzige in der Stadt war, dem Brieftauben geheime Neuigkeiten überbrachten, wenngleich er davon ausging, dass er sie vermutlich einen Tag früher bekam als alle anderen. Er stapfte durch den Schneematsch, der sich nach der Mittagsstunde überall dort bildete, wo die Sonne genug Zeit hatte, auf den Gassenboden zu scheinen. Das Schlurfen seiner Sandalen klang zwischen den Hauswänden wider. Morgen würde sich dort das Echo der stundenlang läutenden Glocken brechen, deren Klang der Himmelfahrt der Seele von Giovanni Antonio Kardinal Facchinetti, Papst Innozenz IX., hinterherläutete.
Die Botschaft, von der
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