Die Teufelsbibel
mir, Pater?«
Pater Xavier lächelte erneut. »Du wirst alles rechtzeitig erfahren.«
»Wie viele Kerle sind es?«
»Mach dir keine Sorgen. Ich denke, du hast schon größere Sünden begangen.«
»Die Schwestern dort, kümmern sie sich gut um ihn? Er war so klein –. Ich dachte, ich sterbe bei der Geburt, und ich war fast sicher, dass er sterben würde. Doch er hielt sich am Leben fest. Pater, ich liebe ihn so sehr. Ich hatte ihn nur so kurze Zeit, und ich liebe ihn so sehr.«
Pater Xavier gab keine Antwort. Er hatte keine Ahnung, wie gut sie in diesem schlechten Licht sah, aber sicherheitshalber hatte er sein leichtes Lächeln aufgesetzt. Es war dasLächeln, das man manchmal an Heiligenstatuen sehen konnte und das verblasste, wenn man der Figur in die steinernen Augen blickte. Dann überraschte sie ihn.
»Ich rede da von etwas, von dem Sie nichts verstehen, nicht wahr, Pater? Liebe?«
Pater Xavier war froh über die Dunkelheit und darüber, dass sein Gesprächsbeitrag bislang im Wesentlichen aus Pausen bestanden hatte. Es bestand die Hoffnung, dass ihr nicht auffiel, dass sein Schweigen im Augenblick von völliger Sprachlosigkeit herrührte.
»Was passiert, wenn Sie mich nicht mehr brauchen?«
»Wenn deine Schuldigkeit getan ist, entlasse ich dich.«
»Wann darf ich mein Kind sehen?«
»Wenn deine Schuldigkeit getan ist.«
»Sie haben gesagt, Wenzel ist krank. Wenn es zu lange dauert –«
»Wie lange es dauert, hast du in der Hand.«
»Hören Sie, Pater«, sagte sie. »Ich kann lesen, schreiben und rechnen. Ich kann ein bisschen Latein verstehen und ein paar griechische Buchstaben erkennen. Ich kann kochen, nähen, ich spiele die Harfe und kann singen. Ich weiß, dass Sie mich für eine Dirne halten, die einfältig genug war, sich von einem Freier ein Kind machen zu lassen, aber Sie sind im Irrtum.«
Tatsächlich, dachte Pater Xavier. Ich habe mich tatsächlich geirrt. Einen Moment schwankte er, ob er nicht besser aufstehen und wortlos gehen sollte, doch etwas in ihm jubilierte beinahe. Er hatte sich ein kluges, aber willenloses Werkzeug gewünscht, um ihm bei seinen Plänen zu helfen, und stattdessen präsentierte das Geschick ihm einen intelligenten Menschen, der fast genauso schnell zu denken vermochte wie er selbst und dem nach wenigen Minuten das gelungen war, was anderen, besser gestellten Menschen in Jahren nicht gelungen war: ihn, Pater Xavier, für Augenblicke sprachlos zu machen.
»Kläre mich auf«, sagte er. Nur wer ihn sehr gut kannte, hätte eine kleine Heiserkeit in seiner Stimme vernommen.
»Ich bin Yolanta Melnika aus Strahov. Mein Urgroßvater war einer der Müller für das Kloster Strahov, mein Großvater war der Herr über alle Mühlen, die insgesamt für das Kloster mahlten, mein Vater ist Kaufmann, der mit Getreide und Mühlenkonzessionen handelt. Meine ganze Familie ist katholisch. Der Vater meines Kindes ist es nicht. Wir liebten uns. Als wir erfuhren, dass weder seine noch meine Eltern jemals einer Heirat zustimmen würden, wollten wir sie vor vollendete Tatsachen stellen. Wir schliefen so oft miteinander, bis ich schwanger wurde.« Sie machte eine Pause; Pater Xavier hatte das Gefühl, sie warte ab, ob er sich dazu äußerte, dass sie planmäßig und mit voller Absicht Unzucht getrieben hatte, und fragte sich, ob er sie nicht doch überschätzt hatte. Dann wurde ihm klar, dass sie geschwiegen hatte, weil sie ihre Stimme sonst nicht unter Kontrolle gebracht hätte.
»Als ich es meinen Eltern eröffnete, warfen sie mich aus dem Haus. Ich habe zwei ältere Schwestern und drei Brüder – Sie können den Wert ermessen, den ich ohnehin für meine Familie hatte. Eine Weile habe ich in der Gasse, in der meine Eltern leben, im Rinnstein geschlafen, weil ich dachte, sie würden barmherzig sein und mich aufnehmen. Als der Herbst kam und ich nächtelang durchnässt an der Hauswand kauerte, ohne dass man mir öffnete, klopfte ich schließlich an die Tür und bat um Verzeihung und um Gnade für das Leben in meinem Schoß.«
Pater Xavier wartete die nächste Pause ab. In der Zelle war es mittlerweile vollkommen dunkel geworden. Die Kerze, die draußen im Gang brannte, zeichnete einen schmalen Lichtsaum rund um die undichte Tür.
»Mein Vater ließ Büttel kommen, die mich von seiner Schwelle vertrieben. Ich wandte mich in meiner Verzweiflung an die Eltern meines Geliebten und erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass mein Vater ihn angezeigt hatte, mich geschändet zu haben, und dass
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