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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Glasmurmeln im Steinbruch seines faltigen Gesichts.
    »Pater Hernando«, begann der alte Kardinal.
    Pater Hernando hatte es gewusst. Er hatte nicht ahnen können, was sich abspielen würde, und auch jetzt war ihm nur ein Bruchteil dessen klar, was vorgegangen war oder was der neu gewählte Papst seinen beiden Kardinälen befohlen hatte. Die Welt schwankte um ihn herum. Er hörte das Geschrei des Pöbels wieder lauter werden und wandte sich unwillkürlich um. An der Spitze einer Parade von winkenden Händen, fliegenden Hüten und einer Welle von »Papa! Papa!«-Rufen näherte sich das Kontingent der Schweizergardisten. Pater Hernando konnte eine weiß schimmernde Gestalt zwischen ihnen erkennen. Die unsicher geschliffenen Linsen seiner Brille und der Regenschleier darauf hätten ihn kein Gesicht ausmachen lassen dürfen, dennoch sah er ganz deutlich das magere, graubärtige Gesicht Giovanni Facchinettis. Papst Innozenz IX. Kardinal de Gaetes Intrigen, Bestechungen und Verhandlungen hatten offenbar genau das Ergebnis gezeitigt, auf das er und der gesamte Zirkel um ihn herum gehofft hatten: der dritte Kardinal unter ihnen war der neue Papst. Und doch – Pater Hernando blinzelte in den Regen. Würde ein Papst, der sich den Namen Innozenz gab, eine Waffe für den Kampf um die Einigkeit des Christentums in die Hand nehmen, die der Teufel selbst geschmiedet hatte?
    »Pater Hernando?«
    Der Dominikanermönch wandte sich ab. Kardinal de Gaete starrte ihn an.
    »Sie müssen gehen. Pater Hernando, wir haben uns doch verstanden?«
    Pater Hernando schloss die Augen und trat einen Schritt in den großen Abgrund hinein. Und ob ich auch wandere …
    »Natürlich«, flüsterte er.

1592:
Die Stadt aus Gold
    »Alles besiegt die Liebe, alles erreicht das Geld,
alles endet mit dem Tod.«
    Spanisches Sprichwort

1
    Prag im Januar war ein Muster aus Schwarz und Grau, eine Ansammlung von Schatten in den Schatten, ein Wald aus senkrecht in den eisigen Winterhimmel emporsteigenden Rauchsäulen, ein Sumpf aus Rauch und Gestank, wenn der Ostwind die Emissionen aus den Schornsteinen in die Gassen drückte. Pater Xavier fror. Er war die Kälte in Kastilien gewöhnt, doch dort war sie trocken und still gewesen; die Kälte in Prag war windig, trotz der eisigen Temperaturen feucht und ständig drückend. In Kastilien hatte der Schnee die ockerfarbene Landschaft überstäubt; wenn die Sonne schien, hatte das Ocker golden gewirkt und der Himmel darüber tiefer als das tiefste Meer. Hier hing der Himmel die meiste Zeit zum Greifen nah über den Turmspitzen. Was vom Bewuchs der Hügel rund um die Stadt unter den Schneemassen zu sehen war, war grau oder hatte die unbeschreibliche Farbe von Starre und Tod. Kastilien im Winter war die Zeit der Meditation, der Ruhe und der klaren Luft; Prag im Winter lag in einer Art Totenstarre, und Pater Xavier musste gegen den Eindruck ankämpfen, dass die Stadt daraus nie mehr erwachen würde.
    Zwischen dem November des vorangegangenen Jahres und Heilige Drei Könige war er ohne jegliche Nachricht seiner Auftraggeber geblieben. Die letzte Botschaft hatte nur aus drei Wörtern bestanden: Subsiste in votum . Verharre im Gebet. Pater Xavier wusste, was damit gemeint war: sein Auftrag ruhte. Etwas musste geschehen sein, was den glatten Ablauf der Ereignisse durcheinandergebracht oder gestoppt hatte.
    Nach und nach erreichten die offiziellen Nachrichten Prag. Es gab einen neuen Papst, er nannte sich Innozenz IX. Es war Kardinal Facchinetti, ganz wie es geplant gewesen war; und doch musste etwas schiefgegangen sein.
    In den Wochen der Stille hatte Pater Xavier versucht, sich an das Gesicht des Kardinals zu erinnern, das er das eine Malbei dem Treffen in der Hütte am Ufer des Tejo gesehen hatte. Eine verzerrte Grimasse stand ihm vor Augen; das Erstarren des Mannes, als sein, Pater Xaviers, Blick auf ihn gefallen war. Niemand musste Pater Xavier sagen, dass die unerwartete Wendung etwas mit Papst Innozenz zu tun hatte.
    Waren sich die Verschwörer um Kardinal Cervantes de Gaete weniger einig, als es den Anschein gehabt hatte? Hatte den neuen Papst die Angst gepackt – oder die Gier? Pater Xavier machte sich seine eigenen Gedanken über das kurze Pontifikat von Gregor XIV., ohne dass diese seiner Miene jemals anzumerken gewesen wären. Als zu Beginn des neuen Kirchenjahres, am ersten Adventssonntag, noch immer keine neuen Nachrichten vorlagen, begann er sich Gedanken darüber zu machen, wie lange das Pontifikat

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