Die Teufelsbibel
zweiten Mal.
Als Pater Xavier wieder in Sankt Agnes war und der jungen Frau, die er ausgewählt hatte, in ihrer Zelle gegenübersaß, war es dunkel geworden.
»Yolanta Melnika«, sagte er. Er bemühte sich nicht erst, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. »Ich bin Pater Xavier.«
»Ein Hund Gottes«, sagte Yolanta.
Pater Xavier neigte den Kopf. »Am Ende des Tages sind wir alle irgendjemandes Hund«, sagte er. »Ich mache ein Geschäft mit dir. Mein Anteil daran: ich hole dich hier heraus.«
»Und was ist mein Anteil?«
»Nichts, was du nicht schon kennst. Du wirst dich als Gegenleistung besteigen lassen und dabei so tun, als würde es dir den höchsten Genuss bereiten. Was von dir verlangt wird, das wirst du tun – so oft, so lange und auf welche Art auch immer es verlangt wird.« Er hatte auf dem Rückweg vom Findelhaus her überlegt, wie er seine Worte wählen sollte. Er hatte keinen Grund gesehen, sein Angebot in schöne Phrasen zu kleiden. Wenn das Mädchen dort vor ihm auf das Geschäft einging, wurde sie zu seinem Werkzeug, und es war wichtig, dass es keinerlei Missverständnisse gab zwischen einem Werkzeug und dem, der es benutzte. Vielleicht machte die Kälte und Nässe seine Stimme schroffer, als sie es in der Regel war. Er kümmerte sich nicht darum. Er wusste, dass er sie bereits am Haken hatte.
»Warum gehen Sie nicht einfach ins nächste Hurenhaus, Pater? Da treffen Sie jede Menge von Ihresgleichen.«
Pater Xavier verzog keine Miene. Er gab ihren Blick zurück,bis sie den Kontakt unterbrach und einmal hart schluckte. Sie schwieg. Pater Xavier wartete das Schweigen ab. Fast fühlte er sich befriedigt, als sie schließlich doch weitersprach und dabei das Thema wechselte. Er hatte sie nicht unterschätzt. Was er brauchte, war nicht nur ein verzweifelter, sondern auch ein kluger Mensch – eine dumme Göre hätte irgendwann vergessen, worum es ging und dass sie nicht mehr war als eine Puppe, an deren Fäden er, Pater Xavier, nach Belieben ziehen würde. Er hatte bereits gewusst, dass Yolanta verzweifelt war; mit jeder verstreichenden Minute in ihrem stockenden Gespräch wurde ihm bewusst, dass sie auch so klug war, wie er gehofft hatte. Die Mutter Oberin hätte ihr nicht Überlebensaussichten attestiert, wenn sie dumm gewesen wäre.
»Woher wissen Sie meinen vollen Namen? Ich habe ihn nicht einmal der Mutter Oberin gesagt.«
Pater Xavier lächelte.
»Waren Sie bei den Karmelitinnen?« Zum ersten Mal klang ihre Stimme nicht barsch, sondern dünn und ängstlich.
»Sie kennen ihn dort unter dem Namen Zwölfter November.«
»Ich habe den Bütteln doch seinen Namen …« Sie brach ab. Pater Xavier hörte, wie sie ein Schluchzen unterdrückte.
»Er war der Einzige, der an diesem Tag zu ihnen gebracht wurde – sonst hätte er eine zusätzliche Nummer bekommen«, sagte Pater Xavier.
Sie begann zu weinen. Pater Xavier bot ihr keinen Trost an. Auf einem der baufälligen Hocker sitzend, stützte er die Hände auf die Knie und betrachtete den schluchzenden Schatten vor sich. Er glaubte zu sehen, wie sie um ihre Fassung kämpfte und wie sie den Kampf mehrfach verlor, ehe sie sich aufrichtete und mit den Händen durch das Gesicht fuhr.
»Geht es dem Kleinen gut?«, fragte sie zuletzt, die Stimme dünner denn je.
»Er ist krank«, sagte Pater Xavier.
»O mein Gott, o heiliger Wenzel, hilf deinem Patensohn – er ist doch nur ein Kind, das nichts getan hat.«
»Es wird Zeit, dass jemand ihn dort herausholt.«
»Kann ich ihn sehen? Kann ich ihn zu mir nehmen? O Pater, bitte, kann ich ihn sehen?«
»Wir müssen noch weiter über unser Geschäft sprechen.«
»Pater, bitte – mein Kind – er ist mein Kind –. Bitte, kann ich ihn sehen?«
Pater Xavier schwieg und wartete. Es war beinahe zu schnell gegangen. Ihm fiel wieder ein, wie gering der Preis war, den die Menschen für ihre Seele verlangten, wenn man sie nur an der richtigen Stelle erwischte. Sie weinte erneut. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob sie glaubte, damit sein Herz zu rühren, und fühlte sich versucht, ihr mitzuteilen, dass dies ein hoffnungsloses Unterfangen sei. Doch er hielt sich zurück. Er war zu oft in derartigen Situationen gewesen, um nicht zu wissen, dass jedes Wort, das man sagte, die eigene Position geschwächt hätte. Wer auf das Leid eines anderen antwortete, und sei es nur mit Grobheit, verriet, dass er es erkannte. Pater Xavier hatte nicht vor, sich diese Blöße zu geben.
»Was wollen Sie von
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