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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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man …«
    Sie kämpfte gegen das Weinen und verlor erneut. Pater Xavier verstand kaum, was sie hervorstieß, doch er wusste, was sie zu sagen versuchte. Er kannte die Strafe für Notzüchtigter: Ertränken. In Prag hatte das Ertränken eine gewisse Tradition, angefangen bei Bischof Johannes Nepomuk. Er ahnte, was gefolgt war, als Yolanta versucht hatte, bei den Eltern ihres Freundes Hilfe zu bekommen: sie war ebenso verjagt worden wie von der eigenen Schwelle, entweder weil man in ihr den Grund für den Tod des eigenen Sohnes sah oder weil man fürchtete, sich weitere Schwierigkeiten einzuhandeln. Was danach folgte, war einfach: Armut, Hunger, unlizenziertes Betteln, Mundraub. Er war sicher, dass sie sich nicht prostituiert hatte. Es gab nicht viele Männer, die sich für eine Schwangere interessierten, weil einem diese an allen Ecken begegneten, in der Regel im eigenen Schlafzimmer und ebenfalls in den Frauenhäusern, wo eine große Anzahl der Dirnen ständig schwanger war. Aber auch falls es ihr leichtgefallen wäre, sich zu verkaufen – er ahnte, dass sie es nicht einmal um den Preis ihres eigenen Lebens getan hätte. Den einzigen Preis, für den sie es zu tun bereit war, hatte Pater Xavier gefunden – vor der Stadtmauer auf der Kleinseite, unter drei Monaten Winter, Erde, Kalk und weiteren kleinen Leichen verscharrt.
    »Der kleine Wenzel ist alles, was mir von meiner Liebe geblieben ist«, flüsterte Yolanta. »Ich nehme Ihr Geschäft an, Pater, aber nicht aus Demut vor Ihrer Kutte oder aus Angst vor Ihren toten schwarzen Augen – ich nehme es an, weil es die einzige Möglichkeit ist, mein Kind wiederzusehen und es aus diesem grässlichen Haus zu retten.«
    »Gut«, sagte Pater Xavier ausdruckslos.
    »Schwören Sie, dass ich mein Kind wieder sehen werde.«
    Pater Xavier wusste, dass er nachgeben musste. »Ich schwöre«, sagte er.
    »Schwören Sie, dass Sie für ihn sorgen werden, solange er dort ist, und dass es ihm gut geht.«
    »Es wird ihm an nichts mangeln.«
    »In Ihre Hände, Pater, befehle ich meine Seele.«
    Pater Xavier stand auf.
    »Folge mir«, sagte er.
    2
    Wenn du nicht sicher bist, ob du das Richtige tust, aber auch nicht weißt, ob du damit aufhören sollst, dann setz dich hin und mach eine Liste, hatte Andrejs Vater immer gesagt. Schreib die Nachteile und die Vorteile auf. Tu dann das, bei dem die Vorteile die Nachteile aufwiegen. Andrej sah das vergnügte Blinzeln des alten Langenfels vor sich. Natürlich hatte sich der Alte selbst nie daran gehalten. Es hatte immer einen Grund gegeben, warum das Gefühl des alten Langenfels die Entscheidung besser trug als die Liste. Andrej dachte an die Geschehnisse vor zwanzig Jahren, die er nun durch die ständigen Bitten Kaiser Rudolfs, ihm die Geschichte zu erzählen, andauernd vor Augen hatte – die Schatten im Nebel, die zu fliehen versuchten und unter den Axthieben fielen, das Geschrei, der brüllend aufgerissene Mund im Gesicht des verrückt gewordenen Mönchs, aus dem plötzlich die Spitze des Armbrustbolzens ragte; er konnte nicht umhin zu denken, dass der Trick mit der Liste vermutlich mehr versprach, als sich auf sein Gefühl zu verlassen. Zumindest konnte es damit nicht schlimmer kommen.
    Die Februarkälte im Inneren seines Häuschens war so beißend, dass selbst das Wasser im Krug eine dicke Eisschicht trug. Der Rauch aus den Kaminen, von denen manche so niedrig waren, dass ein großer Mann mit der flachen Hand die Abzugsöffnung hätte zudecken können, drückte in diegewundene, enge Gassenführung, hinter der die Böschung steil zum Hirschgraben abfiel. Andrej fühlte sich zu resigniert, um auch nur aufzustehen und das Feuer im Kamin zu schüren, und zugleich zu nervös, um ruhig sitzen zu bleiben. Seine Hände fuhren auf der Tischplatte herum, seine Knie pumpten im Rhythmus eines unsichtbaren, hektischen Taktgebers, und ohne dass es ihm bewusst war, hatte er seine Unterlippe bereits wund genagt. Das Haus hatte nur einen Raum; selbst die Behausung, die er mit Giovanni Scoto geteilt hatte, war geräumiger gewesen. Dennoch vermochte es das Feuer im zugigen Kamin in der Regel nicht einmal, den Wasserkrug über Nacht aufzutauen. Es kam ohnehin nicht oft vor, dass Andrej sich genügend Holz leisten konnte, um die Glut bis zum Morgen am Leben zu halten. In der Nische zwischen Kamin und Seitenwand stand ein Bett, das Andrej zusammen mit dem Haus übernommen hatte; sein Vorgänger hatte ihm außerdem einen Tisch und eine vergammelte

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