Die Teufelsbibel
aus denen die Geräusche bis in sein eigenes Domizil drangen. Schlagartig brach ihmder Schweiß aus. Das war der Augenblick, den er gefürchtet hatte seit dem Tag, an dem Oberstlandrichter Lobkowicz ihn aus Giovanni Scotos Hütte hatte schleppen lassen: Kaiser Rudolf hatte entweder das Interesse an ihm und seiner Geschichte verloren, oder er war gestorben. In jedem Fall hatte er ihn der Gnade der Schakale überlassen, die Andrej dafür hassten, dass sein Aufstieg am Hof nicht über jahrzehntelanges Buckeln erfolgt war, und die jetzt das Urteil an ihm vollzogen, das seit damals nur aufgeschoben war: an eine Leiter gebunden über den Köpfen des Volkes zu schweben und dem Henker dabei zuzusehen, wie er einem die Bauchdecke aufschlitzte, einen Haken in das Gewickel der Därme steckte und dann an der Winde drehte, mit der der Haken über eine Schlachterkette verbunden war. Andrej saß starr. In seinen Ohren rauschte das Blut, als höre er bereits sein eigenes wahnsinniges Schmerzgebrüll.
Das Pochen an der Tür ließ ihn auffahren. Die Instinkte gewannen die Oberhand über ihn. Er stieß den Stuhl um, krabbelte über den Tisch und riss wie verrückt an den Fensterflügeln. Der Krug hüpfte über den Tisch, machte einen vollendeten Salto und krachte auf den Boden; das Wasser spritzte auf, die Eisschicht rollte als fingerdicke Scheibe zum Kamin und fiel dort graziös auf die Seite.
Die Fenster waren eingefroren. Andrej zerrte daran, dass der Tisch auf seinen vier Beinen zu scharren begann und der zweite Stuhl umstürzte. Die Eingangstür öffnete sich; Andrej stöhnte in blinder Panik und sprang auf, stand breitbeinig und halb gebückt auf seinem Tisch und spannte die Arme, um die Fensterstöcke aus der Wand zu reißen. Nichts wie hinaus! Dass er – weil seine beiden einzigen Fenster auf die Gasse hinausführten – lediglich seinen Häschern in die Arme fliehen würde, kam ihm nicht in den Sinn. Die Fenster klemmten immer noch und widersetzten sich seinen Kräften.
»AaaaaahgottverfluchteschweineBIESTER!«, kreischte Andrej.
Er merkte, dass jemand hereingekommen war. Aus, dachte er. Aus dem Augenwinkel glaubte er den weißen Schopf des Oberstlandrichters Lobkowicz und die sonnenverfinsternde Gestalt des Reichsbarons Rozmberka zu sehen, ein halbes Dutzend Soldaten hinter ihnen. Seine Hände verloren alle Kraft; plötzlich musste er sich an den Fensterflügeln festhalten, anstatt sie aufzureißen. Er drehte den Kopf und spähte über seine Schulter.
In der immer noch offenen Tür stand eine schmale Gestalt mit einer pelzverbrämten Kapuze über dem Kopf und einem langen, farbenprächtigen Mantel, der auf dem Boden aufstand. Die Gestalt war allein. Sie hob die Hände und nahm die Kapuze ab. Die Gestalt war eine junge Frau mit schmalem, herzförmigem Gesicht, einer geraden Nase, großen Augen und starken, kühn geschwungenen Brauen. Ihr Haar war nach der spanischen Mode streng zurückgekämmt und nach oben gestrichen, wo ein kleiner Hut versuchte, es festzuhalten. Eine Locke hatte sich befreit und fiel ihr dunkelblond in die Stirn. Sie sah zu Andrej nach oben und begann plötzlich zu lächeln.
»Äh –«, sagte Andrej. Er wurde sich bewusst, dass er in geduckter Haltung wie ein Ringer auf seinem Tisch stand und die Griffe an den Fensterflügeln umklammert hielt, dass die Stühle wie gefallene Gegner im Raum lagen und dass das Wasser in den Scherben des Krugs sich mit einer Eisschicht zu überziehen begann. Er ließ die Griffe los und gestikulierte hilflos zum Fenster.
»Klemmt es?«, fragte die unbekannte junge Frau.
Andrejs Hände flatterten zum Fensterkreuz und waren absolut unbrauchbar für die Suche nach einer vernünftigen Antwort. Sie sah zu ihm auf, und ihr Lächeln wurde immer breiter. Andrej wusste nicht, was ihn mehr sprachlos machte: dass es nicht Lobkowicz und Rozmberka waren, dass sich zum ersten Mal überhaupt jemand in sein Haus verirrte oder dasser ausgerechnet zu diesem Anlass wie eine storchenbeinige Vogelscheuche auf dem Tisch stand und sich so eloquent gab wie ein Stück Brot. Er merkte, dass er immer noch in den Knien federte, richtete sich abrupt auf und knallte mit dem Kopf gegen die Decke. Seine Besucherin begann nun zu lachen.
»Wenn Sie das immer tun, um Ihre Besucher zu erheitern, hoffe ich für Ihre Gesundheit, dass Sie nicht oft besucht werden«, sagte sie.
Andrej, der sich den Kopf rieb, angelte mit der anderen Hand nach Halt und erwischte den Fenstergriff. Er drehte sich, und das
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