Die Teufelsbibel
Sieg über den Gestank nach verfaulender Scheiße, gangränöser Haut, schwärenden Körperfalten und verkästen Geschlechtsteilen davongetragen, der zuvor in jedem Winkel des Palastes zu riechen gewesen war. Des Kaisers Schlafzimmer hatte geradezu frisch geduftet, als Andrej eingetreten war; mit nur einem leichten Oberton nach aufgebrühten Kräutern und Alkohol und einer weiteren Note, die kaum zu spüren war und sich nur dann bemerkbar machte, wenn man sich dem Bett des Kaisers näherte – etwas wie verbranntes Haar oder heißgewordenes Horn, ein Duft, der sich eher in der Kehle als in der Nase bemerkbar machte und der einen zum Erbrechen reizen würde, wenn er stärker würde. Doktor Guarinoni behandelte Andrej mit äußerster Verachtung, aber da er allen und jedem außer seinem Patienten mit demselben monumentalen Ausmaß an Verachtung begegnete, fühlte Andrej sich in seiner Nähe fast wie in der Gegenwart eines Freundes. Der Arzt drückte Andrej einen gepichten Beutel in die Hand, der oben zugebunden war und sich eiskalt anfühlte.
»Seine Majestät klagen über Hitze und Schmerzen im Unterkiefer«, brummte Guarinoni. »Drücken Sie ihm das aufs Kinn, wenn er danach verlangt, aber passen Sie auf – zu großer Druck verursacht ihm ebenfalls Schmerzen.«
»Was fehlt ihm?«, raunte Andrej.
Der Arzt musterte ihn mit einem Blick, der besagte, dass es gleich war, wie einfach auch die Erklärung ausfiele, für ihn, Andrej, wäre sie Meilen außerhalb jeglichen Verständnisses. Andrej wusste, dass Bartholomäus Guarinoni alle möglichen Amphibien und Insekten sammelte und in alkoholgefüllten Flaschen aufbewahrte; er stellte sich vor, dass derselbe Blick einen Frosch traf, der die Kühnheit besaß, fragend zu quaken, während der Arzt sein konservierendes Grab vorbereitete.
»Etwas frisst seine Knochen auf«, sagte Guarinoni schließlich. Er hielt Andrej eine Hand unter die Nase. Von der Hand stieg der Geruch nach zerstörtem Horn auf, dessen Hauch auch in der Luft lag. Andrej prallte zurück. »Sie riechen nachher genauso, keine Sorge«, sagte Guarinoni. »Sie können den Kühlbeutel gar nicht mit so spitzen Fingern anfassen, dass ihnen der Gestank nicht in die Haut steigt. Sie müssen sich die Hände mit Asche abreiben, bis sie fast wund sind, um ihn abzubekommen. Viel Vergnügen beim Geschichtenerzählen – halten Sie die Luft an, wenn er Sie bittet, ihm ins Ohr zu flüstern.« Der Arzt lächelte kalt und marschierte hinaus.
Danach hatte Andrej zum hundertsten Mal die Geschichteerzählt, wie sein Vater einem Buch nachgejagt war, das die Weisheit des Teufels enthielt und das ihn und seine Frau das Leben gekostet hatte, während ihr kleiner Sohn nur durch eine glückliche Fügung entkommen war, und fragte sich dabei zum tausendsten Mal, ob es dem Kaiser nicht einmal in den Sinn kam, dass es seinen Ersten Geschichtenerzähler schmerzte zu berichten, wie er zur Vollwaise geworden war.
Und jetzt saß er wieder in seiner winzigen Kerkerzelle von Haus, starrte in den trägen Tanz der Rauchschwaden und fror, ein weiterer Tag in der Kette aus stumm schreiender Qual, Einsamkeit und Langeweile, zu der sich sein Leben reihte. Es gab Gelegenheiten, da hätte er sich am liebsten mitten in die Gasse gestellt, die Ohren zugehalten, Mund und Augen aufgerissen und geschrien, geschrien, geschrien, bis ihm die Halsschlagader platzte oder das Herz stillstand. Der Kaiser hatte kein einziges Wort gesprochen, hatte nur dagelegen mit halb offen stehendem Mund, hatte aus dem Mundwinkel gesabbert und ab und zu ein Geräusch gemacht, das ein Stöhnen hätte sein können. Andrejs Hand war halb erstorben, während sie den Eisbeutel hielt, und er hatte die ganze Zeit über so flach geatmet, dass er fast zu ersticken meinte, obwohl der Geruch auch in unmittelbarer Nähe des Kaisers nicht schlimmer war als direkt bei der Tür. Nachdem er die Schlafkammer verlassen hatte, hatte er vorsichtig an seiner Hand geschnuppert. Sie hatte keinerlei Geruch angenommen. Der Arzt hatte ihn angelogen, oder er hatte seinen Patienten mutiger angefasst, als Andrej es gewagt hatte, und daher mehr von dem Duft in seine eigene Haut gerieben. Mit dem Gefühl, einmal mehr der Trottel gewesen zu sein, war Andrej nach Hause geschlurft.
Unvermittelt ging ihm auf, dass die Schritte, die er vor einer kleinen Weile vom Palast her kommen gehört hatte, seine Tür nicht passiert hatten. Er hatte auch keine der Türen in den nächsten beiden Nachbarhäusern gehört,
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