Die Teufelsbibel
er.
Das Bündel in Andrejs Armen machte ein ersticktes Geräusch. Andrej starrte es an. Er zupfte hastig an einem Deckenzipfel. Das Krähen wurde lauter.
»Und wessen Kind ist das?«, fragte Cyprian.
»Runter von der Brücke jetzt, verdammt noch mal!«
»Kommen Sie«, sagte Cyprian und packte Andrej am Arm.Er zog ihn mit sich zum Tordurchgang. Ein Flügel war bereits geschlossen, der andere bewegte sich ächzend.
Der Wachführer schenkte ihnen einen zornigen Blick. »Beeilung, Beeilung!« Er winkte den Kollegen am anderen Ende der Brücke zu, dass er das Problem an seinem Ende in den Griff bekommen habe.
»Lassen Sie mich los!«, stöhnte Andrej. »Ich muss zu –«
»Sie kommen nicht mehr auf die andere Seite!«
Andrej riss sich los, drehte sich um und lief auf den Wachführer auf, der ihnen dicht gefolgt war. Das Bündel in Andrejs Armen quäkte und begann zu greinen.
»Wenn du ihn zu seiner Mami bringen willst, hast du Pech gehabt«, sagte der Wachführer fast mitfühlend. »Drüben ist schon geschlossen. Haben wir den Stammhalter ein bisschen in der Schänke rumgezeigt und die Zeit verloren?«
»Ich muss zu –«
»Ja, ja«, sagte der Wachführer. »Morgen wieder. Du wirst ’ne Abreibung von deiner Alten bekommen, aber daran bist du selbst schuld, Mann!«
Andrej schien der Panik nahe. Nicht einmal zwischen den Leprakranken in Podlaschitz hatte Cyprian ihn so verwirrt erlebt. Er zog ihn am Ärmel neben sich her, schob ihn vor sich und durch die enge Öffnung der Mannpforte, folgte ihm und schubste ihn einfach weiter durch den Ring an Fackeln tragenden Torwächtern hindurch, die die beiden großen Flügel verriegelten.
»Habt ihr keine Heimat oder was?«, brummte einer. »Wir woll’n auch mal nach Hause.«
Cyprian blickte über die Schulter. Der Wachführer stand vor einem ähnlich wie er gekleideten Mann, reichte ihm eine der frisch angezündeten Fackeln und schnarrte: »Altstädter Tor verriegelt! Brücke gesichert! Wachübergabe erfolgt!«
»Vorkommnisse?«
»Zwei Idioten auf Brücke! Idioten erfolgreich entfernt!«
Der Wachführer klopfte sich an die Brust. Der Anführer der Nachtwache tat es ihm gleich. Sie machten ernste Gesichter. Dann grinsten sich beide Männer plötzlich an, schüttelten sich in einem komplizierten Ritual die Hände und boxten sich in den Magen, während sie Cyprian und Andrej verächtliche Blicke nachschickten.
Andrej stolperte vor Cyprian her, die Blicke immer noch nach dem jetzt geschlossenen Tor gewandt. Cyprian drückte ihm den Kopf nach unten, schob ihn durch die Mannpforte am anderen Ende des Tordurchgangs hinaus, hörte hinter sich das Scharren der Riegel und schob seinen hageren Begleiter immer weiter in den Königsweg hinein, bis sie um eine Ecke und außer Sicht der Wachen waren.
»Ich muss zu Yolanta!«, zischte Andrej.
»Wessen Kind ist das? Jarkas?«
Das Kind kiekste und stöhnte vor sich hin. Andrejs Blicke irrten ab. Er wiegte das Kind wie einen Sack Kartoffeln und zupfte erneut an der Decke, die das kleine Gesicht einhüllte, um dem Kind Luft zu geben. Cyprian, Opfer eines zeitlosen Reflexes, streckte einen Finger aus und schob den Stoff beiseite, um dem Kind über die Wange zu streichen. Seine Augen verengten sich beim Anblick eines winzigen Greisengesichts mit bleichen Lippen und langsam klappernden Lidern.
»Gütiger Himmel«, sagte er.
»Ich habe es gerade eben aus dem Findelhaus geholt«, sagte Andrej. Es klang wie ein Schluchzen.
Cyprian starrte ihn an.
»Es ist Jarkas Kind«, murmelte Andrej. »Ich kann nicht anders an sie denken als an Jarka. Eigentlich ist es gar nicht ihr Kind. Aber sie wird glauben, dass es so ist – hoffentlich –«
Cyprian starrte ihn weiterhin an.
»Das können Sie nicht verstehen«, sagte Andrej.
»Garantiert nicht«, erklärte Cyprian.
»Ich muss es zu Yolanta bringen – Wir müssen es füttern – Ich brauche eine Amme – Wo kriege ich eine Amme her?« Andrej verlor ein gesiegeltes Pergament, als er das Kind anders in die Arme nahm. Aus dem kleinen Bündel stieg zusammen mit den schwachen Lauten der Gestank von wässrigen Exkrementen und käsiger, schorfiger Haut auf und vermischte sich mit dem Hauch von Holzbrand, der sich herangeschlichen hatte. Cyprian bückte sich nach dem Dokument.
»Die Amme muss uns sagen, wie wir ihm helfen können. Wenzel, er heißt Wenzel. Mein Gott, Sie sollten mal sehen, wie der arme Kleine aussieht!«
»Beruhigen Sie sich!«, brummte Cyprian und überflog das
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