Die Teufelsbibel
Dokument. Er konnte kein Wort verstehen, und das Siegel war ihm unbekannt. Als er es Andrej zurückgeben wollte, reagierte dieser nicht. Cyprian ließ es wieder fallen; es flatterte müde zu Boden wie eine sterbende Motte.
»Ich muss zu Yolanta!«
»Wer ist Yolanta? Die Amme?«
»Nein – Yolanta ist Jarka.«
Cyprian schwieg ein paar Sekunden lang. Andrej schien seinen eigenen Worten nachzulauschen und kam dabei ein paar Atemzüge weit aus seiner Panik heraus. »Ihr Leben hört sich reichlich kompliziert an«, sagte Cyprian schließlich.
Andrej holte Atem. »Hören Sie – Sie sind doch der Beauftragte des Bischofs. Können Sie mir nicht helfen, dass ich zur Kleinseite hinüberkomme? Wir – dass wir hinüberkommen? Wenzel und ich?«
»Wenzel«, sagte Cyprian mit Betonung, »sollte etwas zu trinken und ein warmes Bad und ein Bett bekommen. In genau dieser Reihenfolge. Und zwar schnell.«
»Genau deswegen will ich doch zu Yolanta!«, schrie Andrej.
»Reden Sie leise, Mann!«
»Reden Sie doch selber leise! Es geht um das Leben des Kindes!«
Cyprian zog Andrej noch ein paar Schritte weiter um die Ecke.
»Ich bin der Beauftragte des Bischofs von Wiener Neustadt«, sagte er. »Das zählt hier einen Hasenfurz. Sie kommen erst morgen früh wieder zur Kleinseite rüber. Aber ich habe eine Idee – kommen Sie mit mir.«
Andrejs Augen wanderten über Cyprians Gesicht. »Zu Ihnen?«
»Nein, mein Domizil ist auch auf der Kleinseite.«
»Und wohin?«
Cyprian fühlte die kleine Kapsel mit Bischof Melchiors Nachricht in der Tasche. »Ich hatte vor, heute vor einem ganz bestimmten Haus Wache zu stehen«, sagte er grimmig. »Mit Ihnen und – Wenzel! – als Begleiter stehen die Chancen gut, dass man mich reinlässt.«
Wenzel gluckste, verschluckte sich und hustete schwach. Dann begann er zu weinen. Cyprian betrachtete das verzerrte Gesichtchen mit steinerner Miene. Unter der Haut zeichnete sich der Knochenschädel ab. Eine Erinnerung an seine Mutter und seine jüngeren Schwestern machte sich selbständig, übernahm das Kommando über seinen rechten Zeigefinger und steckte ihn dem Kind vorsichtig zwischen die Lippen. Es begann daran zu saugen. Cyprian spürte einen Kloß im Hals. Als er den Finger langsam zurückzog, begann das Weinen aufs Neue.
»Los, kommen Sie«, sagte er. »Es sind nur ein paar Dutzend Schritte. Sie haben ungefähr zwanzig Sätze Zeit, mir das alles zu erklären.«
Andrej seufzte erschöpft. »Das reicht nie«, murmelte er. »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»Fangen Sie an mit: Ich bin ein Idiot«, schlug Cyprian vor. »Und jetzt traben Sie los, verdammt.«
»Ich bin ein Idiot«, sagte Andrej. »Aber das macht nichts. Sie sind auch einer.«
Cyprian erlaubte sich ein Lächeln. Andrej erwiderte es mit grauem Gesicht.
In genau diesem Augenblick stürzte das Dach des Hauses Wiegant & Wilfing ein paar Dutzend Schritte weiter vorn halb ein und eine Flammenzunge schoss in den Nachthimmel.
4
Die junge Frau schnappte nach Luft, um zu schreien, und Pavels Rechte zuckte nach vorn und presste sich ihr auf den Mund. Eingeklemmt zwischen Tisch und Stuhl konnte sie ihm nicht ausweichen. Sie versuchte, seine Hand wegzureißen. Pavels Linke umklammerte ihren Hals – und ein lähmender Schmerz zuckte durch seinen halben Arm. Die Verletzung durch den Dornbusch! Er rutschte ab, und seine Taktik war dahin.
Ihre Arme droschen durch die Luft. Sie traf Pavels zerschundenes Gesicht, aber es gab keinen Schmerz, der den in seiner Hand übertroffen hätte. Sie schaffte es, die Hand von ihrem Mund wegzuziehen, aber bevor sie schreien konnte, warf Pavel sich wieder über sie. Der Stuhl kippte um und schleuderte sie auf den Boden.
Pavel fiel schwer auf die junge Frau und spürte, wie sich eine Kante der Sitzfläche in seine Lende bohrte. Der Lärm, den ihr Sturz verursachte, dröhnte durch das Haus und ließ den Fußboden zittern. Pavel merkte, wie er in Panik geriet.
Seine Hand war wieder von ihrem Mund gerutscht, aber diesmal hatte der Aufprall ihr die Luft aus den Lungen getrieben. Sie strampelte und versuchte gleichzeitig, unter ihm hervorzukriechen und ihm die Augen auszukratzen. Sie keuchte und rang nach Atem. Er griff blind nach ihr, erwischte eine lange Haarsträhne und riss daran; sie gab ein Ächzen von sich, das ein Schrei hätte werden sollen.
Er fasste mit der Linken nach und erwischte eine weitere Handvoll Haar. Der Schmerz, der durch die Hand tobte, war fast nicht auszuhalten. Mit
Weitere Kostenlose Bücher