Die Teufelsbibel
und drehte sich irritiert um. Ihre Augen weiteten sich.
Pavels rechte Hand legte sich auf ihren Mund und die Linke um ihren Hals.
Ab diesem Augenblick ging alles schief.
3
Cyprian näherte sich dem Altstädter Brückentor von der Kleinseite her, wo sich sein von Bischof Melchior zur Verfügung gestelltes Domizil befand. Eher gewohnheitsmäßig warf er einen Blick auf den Uferstreifen, der kiesig und lehmig entlang der Mauer um die Altstadt den Lauf der Moldau rahmte. Das letzte dramatische Hochwasser lag lange genug zurück, damit sich Abfall, Wurzelstöcke und unbrauchbare Überreste von Flößen dort hatten ansammeln können, durch alle Zeiten hindurch beliebtes Baumaterial derjenigen, die vor den Mauern lebten und von dem, was die Stadt nicht mehr verwerten konnte. Vor den meisten Abfallhaufen brannten Feuer; Gestalten kauerten davor. Nasser Rauch wehte gemeinsam mit dem Geruch von Fischen, die man nicht mehr hätte braten sollen, zur Prager Brücke und zu Cyprian herüber.
In den nächsten Minuten würden die Stadttore geschlossen werden und damit auch alle innerstädtischen Tore – derZugang von der Kleinseite zur Altstadt wäre dann durch die Torbauten des Kleinseitner und des Altstädter Tors verschlossen. Es waren fast keine Menschen mehr unterwegs; die mächtigen Bögen der Tore waren bis auf die in Grüppchen beisammenstehenden Wächter leer. Cyprian konnte durch die Öffnung des Altstädter Brückentors in den Königsweg hineinsehen, der wie eine schimmernde Zunge aus einem gähnenden Maul in die Düsternis zwischen den Gebäuden tastete. Obwohl die Nachricht seines Onkels in seiner Tasche brannte, blieb Cyprian stehen: die einsame Gestalt, die durch die Ansiedlung der Obdachlosen gestolpert war und sich jetzt langsam dem Lichtschein der Brücke näherte, kam ihm bekannt vor, und etwas an ihrem Gang ließ ihn innehalten. Während der Zeit im Gefängnis hatte er Menschen so gehen sehen, die von einem Verhör zurückkamen und wider Erwarten nicht der peinlichen Befragung unterzogen worden waren und in deren Stolpern sich Unglauben ebenso ausdrückte wie die irrsinnige Hoffnung, dass alles noch gut werden konnte.
Die Gestalt war die von Andrej von Langenfels. Als er der Beleuchtung des Altstädter Brückentors noch näher kam, sah Cyprian, dass sich das Band in seinem langen Haar gelöst hatte und es wie eine zerzauste Mähne um seinen Kopf hing. Sein Gesicht war ein Muster aus regelmäßigen Schatten. Es gab Cyprian einen Stich. Ohne dass er es hätte platzieren können, hatte er erneut das Gefühl, Andrej von früher zu kennen. Dann fiel das Licht anders, und die beklemmende Ähnlichkeit war verschwunden. Andrej wandte sich ab und arbeitete sich die Böschung hinauf, die ihn zum Brückenplatz führte. Er verschwand hinter dem Bollwerk des Torbaus, dann tauchte er Sekunden später im Torbogen wieder auf, beleuchtet von den Ölfeuern im Tordurchgang und misstrauisch beobachtet von den Wachen. Cyprian sah, dass Andrej ein Paket an sich drückte. Ein Stück vor dem Tordurchgang trafen sie zusammen.
»Was tun Sie denn hier?«, fragte Cyprian, bevor er Andrej in die Augen sah und verstummte. Durch das Gesicht des anderen ging etwas wie ein Ruck, und seine Blicke fokussierten sich.
»Ah«, sagte er mit belegter Stimme. »Ah, Cyprian.«
»Ist Ihnen nicht gut?«
»Doch – äh – doch –« Andrej sah über Cyprians Schulter hinweg, und Cyprian teilte sich der unmissverständliche Wunsch seines Gegenübers mit, allein gelassen zu werden. Beinahe wäre er beiseitegetreten, doch Andrej sah aus wie ein wandelnder Leichnam, und so konnte er sich nicht überwinden, den Weg freizugeben.
»Was tragen Sie da spazieren? Die Tore schließen gleich. Wenn Sie noch eine Besorgung vorhaben, sollten Sie sich beeilen.«
»Ja – äh – Ich weiß. Äh – leben Sie wohl.«
Lass mich in Ruhe , sagte die Körperbewegung, mit der Andrej sich an Cyprian vorbeidrücken wollte. Los, frag mich , kreischten die riesigen Augen in seinem bleichen Gesicht. Doch eine andere Macht enthob Cyprian der Frage.
»He, ihr da. Runter von der Brücke! Wir schließen die Tore!« Der Wachführer des Altstädter Brückentors stand breitbeinig auf der Brücke und winkte ihnen zu. »Sonst könnt ihr die Nacht hier verbringen!«
Andrej fuhr herum. Ein Knall hinter Cyprian sagte ihm, dass das Kleinseitner Brückentor bereits geschlossen war. Andrejs Kopf flog wieder zurück. Sein Mund verzerrte sich. »Nein, verdammt!«, keuchte
Weitere Kostenlose Bücher