Die Teufelsbibel
nicht wahr, Pater Xavier?«
Pater Xavier warf einen kurzen Blick in das magere, gequälte Pferdegesicht des Generalvikars. Er hatte geahnt, dass Garcia Loayasa heute Nacht zu dieser Erwägung gelangen würde, kaum dass er die Verurteilten gesehen hatte. Es hieß, dass der Generalvikar über ganz Toledo verteilt Töchter besaß und dass er verzweifelt nach einem Bischofssitz strebte, weilihm das Geld zum Unterhalt, zur Ausbildung und zur Mitgift seiner kleinen Armee aus zweifellos mageren, pferdegesichtigen Töchtern hinten und vorne nicht reichte.
»Ehrwürden sind der Vertreter des Erzbischofs von Toledo«, sagte Pater Xavier. »Der Großinquisitor hatte die Macht zu richten; Ehrwürden haben die Macht, Gnade vor Recht ergehen zu lassen.«
Loayasa nagte an seiner Unterlippe. »Ich kann ihr das Kreuz noch mal vorhalten; wenn sie sich von ihrer Irrlehre lossagt und es küsst, kann ich ihr das Feuer ersparen, oder nicht?«
»Ehrwürden können das tun.«
»Es wäre christlich gehandelt, denken Sie nicht, Pater Xavier?«
»Selbstverständlich. Großinquisitor Kardinal de Quiroga hat selbst während der ersten Befragungen alles versucht, um das junge Ding zum Lossprechen zu bewegen. Wie bedauerlich, dass die Unselige ihr Herz verhärtet und sich hartnäckig widersetzt hat.«
»Ah ja?«, sagte Generalvikar Loayasa unglücklich und starrte immer noch zur Tribüne.
Das Mädchen zerrte an den Fesseln und wand sich wie verrückt. Ihre Kehle war bereits heiser vom vielen Schreien. Mit dem abrasierten Haar und im obszön gelben Schandgewand wirkte sie noch jünger, als sie war. Sie konnte keinen Tag älter als vierzehn Jahre sein. Pater Xavier hasste die Vorstellung, dass ein so junges Leben so entsetzlich und so vor aller Augen beendet werden musste, und er verabscheute Großinquisitor de Quiroga dafür, dass er nicht den nahe liegenden Weg gewählt und die Verurteilte während der Befragung hatte zu Tode kommen lassen. Man musste stets damit rechnen, dass die Abscheu der Zuschauer vor der protestantischen Irrlehre in Mitleid mit einem einzelnen Verurteilten umschlug, wenn der Verurteilte ein halbes Kind und von zarter Gestalt warund herzzerreißend nach seiner Mutter schrie, während ihm das Fleisch von den Knochen schmorte.
»Ich halte das nicht mehr aus«, sagte der Generalvikar und setzte sich Bewegung.
»Ich bleibe an Ehrwürdens Seite«, sagte Pater Xavier schnell.
»Danke, Pater.«
Als sie vor dem Mädchen standen und zu ihr aufschauten, ging ein Raunen durch die Menge. Garcia Loayasa blickte sich mit hervortretenden Augen um, plötzlich befangen angesichts der ungeteilten Aufmerksamkeit der Zuschauer. Pater Xavier sah, dass Großinquisitor Kardinal de Quiroga sich nach vorn gelehnt hatte. Der Generalvikar nahm dem Priester, der vor dem Scheiterhaufen stand, die lange Stange ab und hielt das Kreuz an ihrem Ende dem Mädchen vors Gesicht.
»Sag dich los, du arme Seele, und die Gnade Christi wird dir zuteilwerden«, murmelte er. Das Mädchen riss an den Fesseln und schrie. Ihre Hand- und Fußgelenke waren aufgescheuert. Mit ihrem Gezappel hatte sie die Holzscheite auf der Krone des Scheiterhaufens so weit von sich weggestoßen, dass es ausgeschlossen war, dass der Rauch sie ersticken konnte, bevor das Feuer sie erreichte.
»Bei allen Heiligen, wo ist denn ihre Mutter?«, stieß Garcia Loayasa hervor.
Die Mutter des Mädchens hatte die Tochter selbst dem Richter überantwortet. Pater Xavier war bei der letzten Befragung dabei gewesen. Die Henkersknechte hatten alle Künste aufbieten müssen, um ihr diese Aussage zu entlocken, und selbst Pater Xavier hatte noch niemals eine Denunziation aus einem derart verrenkten, gequälten Körper herausbrechen sehen.
»Gott der Herr wird wissen, wo sie ist, Ehrwürden«, sagte Pater Xavier.
»Sag dich los«, murmelte der Generalvikar und hielt das Kreuz hoch. Es schwankte vor dem wild hin- und hergeworfenen Kopf der Verurteilten. »Sag dich los, Mädchen, sag dich los, du willst doch nicht brennen, sag dich los und komm in den Schoß der wahren Kirche zurück, sag dich los …«
Der Henkersknecht, der hinter dem Pfahl auf dem Scheiterhaufen stand und darauf wartete, dass jemand in letzter Sekunde einen verstohlenen Wink gab, den Strick zu benutzen und die Unglückliche heimlich zu erdrosseln, während das Feuer entzündet wurde, starrte ratlos auf den Generalvikar herab. In einer Hand hielt er den Strick, in der anderen den Knebel, der dazu diente, Verwünschungen,
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