Die Teufelsbibel
Schweizergardisten übernahm sie; der Kardinalarchivar riss sie ihm aus der Hand und hastete ein paar Schritte davon, um sie vorsichtig abzulegen. Papst Urban hörte Uccellos entsetztes Stöhnen und vergaß es im selben Augenblick wieder. Die nächste Röhre – die nächste – er begann zu schwitzen und zu husten, als er Staubflocken einatmete; als er sich die Hände an der Soutane abwischte, hinterließ er schwarze Streifen auf dem weißen Stoff. Die Schweizergardisten wechselten sich ab in der Aufgabe, ihm die Röhren abzunehmen, und der Kardinalarchivar hastete hin und her, rot im Gesicht, keuchend und ächzend, bis das Kabinett ausgeräumt war. Die Leere gähnte Papst Urban an wie ein Schlund.
»Es … ist … nichts … drin …«, stammelte Arnaldo Uccello und versuchte, zu Atem zu kommen.
Urban warf ihm einen verächtlichen Seitenblick zu. Er schnappte sich eines der langen Stemmeisen der Schweizergardisten, legte die Spitze auf einen der Fachböden und schob es langsam der Länge nach hinein. Als die Spitze hinten an die Rückwand stieß, blieb nur noch eine knappe Handbreit übrig, die aus dem Fachboden ragte.
Urban schloss die Faust um die Stelle, an der die Stange herausragte, zog sie wieder heraus und führte das Eisen dann an der Seitenwand des Kabinetts nach hinten. Das Eisen schrappte am zerkratzten, schwarzen Holz entlang und erzeugte einen hohlen Ton. Die Stelle, an der der Papst die Stange hielt, glitt hinter die vordere Kante des Kabinetts, das Eisen schrappte immer noch weiter. Urban brauchte nicht hinzusehen; er hatte es gewusst. Er betrachtete die hervortretenden Augen des Kardinalarchivars. Schließlich schlug die Spitze an die Wand des Saals, wo die Rückwand des Kabinetts plan mit ihr abschloss. Kein Zentimeter des Stemmeisens ragte mehr über die Seitenwand des Kabinetts hinaus, im Gegenteil; es fehlten nun gut zwei Handbreit.
»Es ist außen größer als innen –«, sagte Arnaldo Uccello.
Papst Urban nickte und reichte das Eisen an die Schweizergardisten zurück. »Rückt es nach vorn und stemmt die Rückwand auf«, sagte er.
Als die schwarzen Bretter zerborsten auf dem Boden lagen, wichen die beiden Gardisten zurück. Papst Urban trat heran, den Kardinalarchivar an seiner Seite. Arnaldo Uccello machte ein kleines Geräusch in der Kehle. In der dunklen Höhlung der doppelten Rückwand lag ein unförmiges Ding, in Leder geschlagen, mit Stricken und Riemen gebunden und mit einer Kette gesichert. Es konnte eine Schatztruhe sein. Es konnte der Sarg eines Kindes sein. Es reichte den beiden Männernfast bis zum Gürtel. Urban starrte es an. Er hatte erwartet, es körperlich wahrzunehmen, seinen eigenen Leib vibrieren zu spüren als Antwort auf die Macht, die es ausstrahlte, doch es blieb stumm. Er wollte es anfassen, aber er konnte den Arm nicht heben.
»Was ist das?«, flüsterte Uccello.
»Holt es heraus und nehmt ihm die Fesseln ab«, sagte Urban zu den Gardisten. Er wandte sich an Uccello. »Sind Sie ohne Sünde, Kardinalarchivar? Wenn nicht, dann treten Sie zurück, damit Sie nicht unter seinen Bann fallen, wenn Wir es befreit haben.«
2
Oberst Segesser und sein Sohn bewachten das letzte Stück der Treppe, die früher den Cortile del Belvedere vom Cortile della Pigna getrennt hatte und die nun in die Bibliothek führte. Sie sahen sich an, als plötzlich ein Heulen aus dem Inneren des Archivs ertönte.
»Was geht da drin vor, Vater?«, fragte der Hauptmann.
»Was ist Ihre Pflicht, Hauptmann?«
»Treu, redlich und ehrenhaft zu dienen dem Heiligen Vater und seinen rechtmäßigen Nachfolgern und mich mit ganzer Kraft für sie einzusetzen, bereit, wenn es erheischt sein sollte, selbst mein Leben für sie hinzugeben«, schnarrte der junge Mann.
»Heißt es da irgendwas von neugierigen Fragen, Hauptmann?«
»Nein, Herr Oberst.«
»Gut.« Oberst Segesser starrte geradeaus. Hauptmann Segesser tat es ihm nach. Das Heulen hörte nicht auf. Dazwischen war ein Krachen und Klirren zu hören, als ob etwas in einem der Bibliothekssäle wütete. Die beiden sahen sich erneut an.
»Ich habe keine Ahnung, Sohn«, sagte der Oberst.
»Vielleicht ist der Heilige Vater in Gefahr?«
»Es sind zwei Hellebardiere bei ihm.«
Etwas krachte, als wenn ein großes Möbelstück von einem Rasenden zerhackt würde.
»Andererseits«, sagte der Oberst.
Sie blickten sich erneut an. Dann wirbelten sie herum, zogen ihre Schwerter und rannten die Treppe hinauf zum Sixtinischen Saal. Als sie in den
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