Die Teufelsbibel
Nachfolger, hatte sich dagegen für die Aufgabe auserwählt gesehen, die Welt neu zu ordnen.
Am Ende des langen Saals schimmerte eine eisenbeschlagene Tür in der Düsternis.
»Bitte öffnen Sie, lieber Freund«, sagte Papst Urban.
Arnaldo Uccello schluckte, zögerte, kramte dann einen Schlüsselbund hervor und machte sich daran, die Schlösser zu öffnen.
»Das ist das Verbotene Archiv«, brachte er hervor.
Papst Urban nickte milde. »Wir wissen«, sagte er.
Die Schlösser sperrten so schlecht, als sähen sie es als ihre Aufgabe, den Zutritt zum Verbotenen Archiv zusätzlich zu verzögern. Schließlich standen sie in einem kleineren, schmucklosen Abbild des Sixtinischen Saals, dem die Farbe und die Fresken fehlten und durch dessen winzige Fenster gerade genug Licht fiel, um sich zwischen den Säulen orientieren zu können. Das einzige Fresko befand sich auf der Vorderseite der wuchtigen Säule gleich beim Eingang; Erzengel Michael starrte die Eintretenden an, das Flammenschwert erhoben, die andere Hand ausgestreckt zu einer abwehrenden Geste. Urban bekreuzigte sich und schritt an ihm vorbei.
Zwischen den Säulen standen die Kabinette, Buchschränke und einfachen Regale dichter gedrängt und in größerer Anzahl als draußen im Sixtinischen Saal. Es roch muffiger, weilsich hier fast niemals Menschen aufhielten, und Urban wusste, wenn man lange genug verweilte, begann das Wissen über die ungezählten Rätsel, horrenden Skandale und Vorfälle, die nicht für das Licht der Welt bestimmt waren, auf einen einzuwirken; und man begann immer öfter über die Schulter zu blicken, Geräusche zu hören und Schatten zu sehen. Als er damals den Hinweis auf den Codex gefunden hatte, jedoch keine Möglichkeit sah, das Versteck aufzusuchen und ihn zu bergen, hatte das Wissen um das, was sich in der Bibliothek befand, ihn auf den langen Weg zum Thron des heiligen Petrus geführt. Er nahm als sicher an, dass die Existenz des Buches nach den vielen Jahren niemandem mehr bekannt war; und er war überzeugt, dass Gott ihn zum höchsten Amt der Christenheit geführt hatte, um das Wissen darin einzusetzen und mit seiner Macht dafür zu sorgen, dass die Christenheit wieder eins wurde – oder alle Ketzer ein für alle Mal ausgerottet. Was im Verbotenen Archiv versteckt war, war das Werkzeug des Bösen; es gab nur einen Menschen, der es zum Guten einsetzen konnte. Papst Urban hörte das Pochen seines Herzens, als er in die Dunkelheit des Archivs eindrang, die beiden Schweizergardisten an seiner Seite und Kardinalarchivar Uccello hinter ihnen herstolpernd.
Das Kabinett stand in einer Ecke hinter einer Säule. Es war alt, schwarz, zerkratzt und so wuchtig wie ein Bollwerk. Staubige Tonröhren lagen zu Hunderten gestapelt darin und füllten es von oben bis unten ohne jegliche Lücke. Papst Urban atmete ein.
»Heiligkeit, darf ich fragen …?«
Der Papst winkte ab. Arnoldo Uccello verstummte. Urban schüttelte die Ärmel der Soutane zurück, bewegte die Schultern, bis die Mozzetta nach hinten rutschte und ihm größere Bewegungsfreiheit gab. Schließlich streckte er beide Hände aus, packte eine der Tonröhren und zog sie heraus. Er zitterte so sehr, dass die Röhre vibrierend an die neben ihr liegendenschlug. Als er sie hielt, kippte sie nach vorn, entglitt seinem kraftlos gewordenen Griff, fiel wie in einer Bewegung unter Wasser zu Boden, überschlug sich, prallte auf und zerschellte.
Der Kardinalarchivar schrie vor Schreck auf. Die Splitter der Tonröhre prasselten und schlitterten über den Boden. Der Knall echote zwischen den Säulen wider und verstummte hinter den Buchkabinetten.
»Um der Liebe Christi willen, Heiliger Vater«, ächzte Arnaldo Uccello und machte Anstalten, einen Schritt nach vorn zu treten und das Pergament aufzulesen, das zwischen den Scherben lag.
»Bleiben Sie weg!«, schnappte Urban. Er schob das Pergament achtlos mit dem Fuß beiseite, trat auf ein Siegel, das sich gelöst hatte und das unter seiner Sohle zerbarst wie ein rohes Ei, und fasste nach der nächsten Röhre. Seine Hände zitterten noch immer. Er starrte sie an. Plötzlich zerrte er den Fischerring vom Finger, verstaute ihn hastig in seiner Soutane, riss sich die weißen Handschuhe herunter und ließ sie zu Boden fallen. Als er mit bloßen Händen die nächste Tonröhre packte, die Kühle des Materials und die grobe Textur der Oberfläche fühlte, ließ das Zittern nach. Er zog die Röhre heraus und reichte sie nach hinten weiter. Einer der
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