Die Teufelsbibel
Tür auf und trat schwungvoll ein. Eine Kerzenflamme zeigte ihm Gesichter, dann ging die Kerze im Luftzug des energisch aufschwingenden Türblattes aus. Es wurde dunkel. Vor seinen Augen tanzten die komplementärfarbenen Abbilder der halb gesehenen Gestalten.
Eine Sekunde herrschte Schweigen.
»Schön, Pater Xavier«, sagte dann eine trockene Stimme in die Finsternis. »Ich für meinen Teil weiß jetzt, dass Sie noch genügend Kraft haben. So lange wie ich schon Ihren Namen höre, dachte ich immer, Sie müssten eigentlich ein zittriger Greis sein.«
»Uns Kleriker hält der Glaube an die katholische Kirche jung«, sagte Pater Xavier.
Er hörte das Klicken von Feuersteinen, sah Funken aufsprühen und in ein Häuflein Zunder fallen. Dann blühte eine Flamme auf, sprang auf einen Docht über und wurde zur Kerze getragen. In den neu entstehenden Lichtkreis schob sich das Gesicht einer großen Schildkröte und betrachtete ihn mit funkelnden Augen. »Stimmt nicht«, sagte die Schildkröte mit der trockenen Stimme von vorhin. »Mir hat er ein langes Leben beschert, aber jung erhalten hat er mich nicht.«
Pater Xavier sank auf die Knie. »Eminenz«, sagte er und bekreuzigte sich. Er hielt den Kopf gesenkt und starrte aufden Boden der Hütte, was ihm der sicherste Weg schien, sich seine absolute Überraschung nicht anmerken zu lassen.
»Schon gut, Pater Xavier«, sagte Kardinal Cervantes de Gaete. Sein faltiges Schildkrötengesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Der freie Hocker hier ist für Sie. Setzen Sie sich. Und nennen Sie mich nicht Eminenz. Dieser Titel ist lächerlich, ob nun Papst Urban ihn eingeführt hat oder nicht.«
Pater Xavier schlug das Kreuzzeichen erneut, zog den Hocker zurück, strich die Kutte glatt und setzte sich. Erst dann erlaubte er sich, aufzublicken. Er kannte auch die anderen drei Gesichter: Giovanni Kardinal Facchinetti, Titularpatriarch der Erzdiözese Jerusalem, Ludwig Kardinal von Madruzzo, der päpstliche Legat für Spanien und Portugal (die beide frisch vom Konklave hier eingetroffen sein mussten und vermutlich noch mit der Tatsache kämpften, dass sie beide nicht gewählt worden waren); und schließlich das letzte Gesicht, das ihn mit mehr freimütiger Neugier als die anderen musterte. Sein Besitzer hatte die Brille abgenommen und drehte sie in einer Hand. »Was hatte Generalvikar Loayasa vor?«, fragte er.
»Er unternahm noch einen letzten Versuch, eine verketzerte Seele zu bekehren, Pater Hernando«, sagte Pater Xavier. »Der Generalvikar ist ein wahrer christlicher Held.«
»Für mich sah es eher so aus, als wollte er sie der Gerechtigkeit entziehen; vielleicht erinnerte sie ihn ja an eine seiner Töchter, was meinst du, Pater Xavier?«
Die beiden Dominikaner, Pater Hernando und Pater Xavier, musterten sich über die Kerzenflamme hinweg.
»Über die Entfernung und den Rauch hinweg können sich Dinge in der Wahrnehmung verzerrt haben, Pater Hernando.«
»Oder sollte ich dem Großinquisitor raten, den guten Generalvikar einmal einer eingehenden Prüfung zu unterziehen?«
»Da du und ich fest davon überzeugt sind, dass sich bei Generalvikar Garcia Loayasa keinerlei Falsch finden unddamit der Ruf der katholischen Kirche in Spanien nicht befleckt werden kann, stimme ich dir aus ganzem Herzen zu, Pater Hernando.«
Hernando de Guevara nickte, doch seine Augen verengten sich. Dann lehnte er sich zurück und setzte seine Brille wieder auf. Pater Xavier fragte sich, wie Pater Hernando es geschafft hatte, vor ihm in der Hütte anzukommen. Als er mit dem dunklen Mann die Richtstätte verlassen hatte, hatte der Assistent des Großinquisitors noch immer auf seinem Podium gestanden. Die Antwort war, dass der dunkle Mann ihn auf einen Umweg geführt haben und Pater Hernando eine Abkürzung benutzt haben musste. Pater Xavier beschloss, sich von solchen Taschenspielertricks nicht beeindrucken zu lassen. Gleichzeitig war ihm klar, dass er seinen Mitbruder in geradezu tödlichem Umfang unterschätzte, wenn er ihm nicht mehr als Taschenspielertricks zubilligte.
»Pater Xavier Espinosa«, sagte Kardinal de Gaete. »Geboren in Lissabon, im Säuglingsalter als puer oblatus in die Obhut des dominikanischen Klosters in Avila gegeben im Jahr des Herrn und der Hinzufügung des vormaligen Reichs der Inka zu den spanischen Überseeprovinzen 1532. Hervorragende Referenzen in Glaubensfestigkeit, Kenntnis der Schriften und Rhetorik. Keinerlei Referenzen zu Gehorsam, Demut und Nächstenliebe.«
Pater
Weitere Kostenlose Bücher