Die Teufelsbibel
Gesicht des Mannes war ein vager Fleck, sein Helm ein rötliches Glimmen. Hinter Cyprian krachte und prasselte plötzlich etwas, eine Art Schock lief durch das Gebäude und ließ es erzittern. Ein Wärmestoß fuhr von hinten heran. Das Brett schwankte und stabilisierte sich wieder.
»Mach schon!«
Cyprian ließ Agnes von seiner Schulter gleiten, in die Arme seines Gegenübers. Cyprian sah erst jetzt, dass er eine Decke dabeihatte. Agnes sank schlaff in die Decke hinein, Cyprian versuchte, die Tränen wegzublinzeln und einen Blick in ihr vollkommen rußgeschwärztes Gesicht zu erhaschen. Der Wachposten schlug sie in die Decke ein und kroch zurück, Agnes darin mit sich ziehend wie ein Bündel. Das notdürftig eingewickelte Kind in Andrejs Armen schwamm in Cyprians Bewusstsein hoch und verschwand wieder.
Der Wachposten zog Agnes in die Sicherheit des anderen Hauses. Sie war verschwunden. Dann kam er wieder zum Vorschein.
»Jetzt du! Brauchst du Hilfe?«
Cyprian schüttelte den Kopf. Er umfasste die Ränder des Bretts und schob sich auf Händen und Knien darüber. Es war ein Spaziergang, selbst für einen Halbblinden. Als er drüben vom Brett herunterkletterte, gaben seine Knie nach. Die Wachen stützten ihn.
»Wo ist Agnes?«
»Runtergebracht. Los, verschwinde von hier. Kannst du allein gehen?«
»Wohin?«
Das Gebäude gegenüber brüllte auf. Unwillkürlich schaute Cyprian hinüber. Die Wachen beeilten sich, ihre Haken mit dem Ende des Bretts loszurütteln. Sie hantelten das Brett herein und schnalzten die Haken über den Rand der Ladeluke. Über dem Dach des Hauses stand jetzt eine Feuerlohe, die in Cyprians geschundenen Augen wie ein riesiger roter Feuerball aussah. Die Wachen holten hektisch die Seile mit den Haken ein. Sie keuchten und wichen zurück. Cyprian, der stehen blieb, wurde von ihnen mitgezerrt. Der Feuerball blähte sich auf –
»O Kacke«, flüsterte eine der Wachen.
»Das kriegen wir nicht mehr in den Griff.«
»Die Stadt –!«
– und war verschwunden.
Der Stoß, der durch ihr Haus fuhr, war wie ein Erdbeben; das Krachen und Prasseln wie das schlimmste aller Gewitter, zusammengepresst in wenige Augenblicke. Staub quoll herein wie eine Faust, die durch eine Maueröffnung stößt. Das rote Licht, das den Speicherraum dieses Nachbarhauses erfüllt hatte, verlosch. Die Männer begannen zu husten. Cyprian riss sich los und tastete sich zur Treppe des fremden Hauses.
»He, Mann – sag danke zu deinem Schutzengel!«, brüllte ihm eine der Wachen hinterher. »Eine Minute länger dort drüben, und –«
Cyprian antwortete nicht. Sein Sehvermögen besserte sich nur widerstrebend. Er fiel mehr, als er ging, die Treppe hinunter. Was ihn betraf, hatte sein Schutzengel versagt, solange er fürchten musste, dass Agnes tot war.
Das Chaos draußen war enorm; für Cyprian nicht mehr als ineinanderlaufende Schatten, Geschrei und Geschepper. Eine Staubwolke hüllte den Platz ein und senkte sich über alle. Fackeln versuchten sich gegen die erstickende Finsternis durchzusetzen und waren doch nicht mehr als Lichtpunkte. Auch hier war das rote Glühen erloschen; das alte Gebäude musste über seiner Mitte, aus der sich das Feuer herausgefressen hatte, zusammengebrochen sein, und das plötzliche Staubaufwallen hatte das Feuer erstickt. Man würde den Schutthaufennoch Tage im Auge behalten müssen wegen einzelner Glutherde, die sich zu einem neuen Feuer entwickeln konnten, aber fürs Erste war das Viertel, war womöglich die halbe Stadt einer Katastrophe entgangen. Cyprian hätte es nicht mehr egal sein können. Er war stehen geblieben und versuchte sich zu orientieren. Von links hörte er das Gebrüll von Männern, die sich gegenseitig anfeuerten, und das Gepolter von Steinen und Balken, die jemand beiseitezuwuchten versuchte. Er glaubte eine Stimme zu hören, die sich über das Chaos erhob und schrie: »Er ist noch drin. Er und meine Tochter!« Der Staub sank herab wie dichter Schnee, Ascheflocken taumelten zu Boden, die Luft schmeckte bitter wie Schierling. Ein Hustenanfall krümmte ihn zusammen und ließ ihn nach Luft schnappen. Beinahe hätte er sich übergeben. Ächzend richtete er sich auf, schloss die Augen, verdrängte die Geräusche und versuchte mit seinem Herzen zu lauschen. Er bekam keine Antwort.
Schließlich fand er sie so, wie er sie immer gefunden hatte. Weder die Wachen noch sonst jemand hatten gewusst, wer sie war; die Wiegants und Wilfings hatten ihr Augenmerk auf das brennende
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