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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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er die Decke sanft beiseitezog. Nicht,um irgendetwas anders zu machen, sondern einfach nur, um jeden einzelnen Augenblick mit Agnes noch einmal leben zu dürfen.
    Nieselregen hatte eingesetzt. Neben dem beschädigten Goldenen Brunnen hatte eine spontane Feier begonnen – Nachbarn, die das glimpfliche Ende des Brandes zelebrierten, den entschlossenen Einsatz der Wachen und vor allem ihren eigenen Heldenmut bei der Aufrechterhaltung der Eimerkette. Ein kleineres Feuer war im Gang, entfacht aus noch glimmenden Holzresten des Hauses Wiegant & Wilfing – warum nicht verwenden, was einem der Zufall in die Hände gab und was ohnehin nicht mehr zu gebrauchen war? Weinbecher kreisten, Putenschenkel, Brotwecken. Nachthemd saß auf dem Fußsockel des Brunnens, mittlerweile wieder in diese Welt zurückgekehrt, und ließ sich zum dritten Mal erzählen, wie er völlig unbeschadet in dem Regen aus Glasscherben und Trümmerstücken gestanden hatte, nachdem die Fenster des Saals im ersten Stock explodiert waren. In seinem Haar glitzerten immer noch Scherben.
    Mehrere Räte der Stadt waren eingetroffen, hatten erkannt, dass die Gefahr gebannt war, und empfanden es als Ehre für die Feiernden, sich zu ihnen zu gesellen und an ihrem improvisierten Mahl teilzuhaben. Der Regen wusch Staub und Asche von allen glatten Flächen und verbuk sie zu einer Art knochenhartem Mörtel überall dort, wo er sie nicht wegspülen konnte. Der Wachführer der Tagwache des Altstädter Brückentors war zu der kleinen Gruppe um die Tote auf dem Boden herübergeschlendert, hatte seine Teilnahme ausgedrückt und einen Weinkrug angeboten. Der Weinkrug war ausgeschlagen worden. Er hatte es nicht übel genommen. Während bei den Feiernden um das Feuer immer wieder Gelächter – bei manchen mit einer durchaus hysterischen Note – ausbrach, warfen sie in den Heiterkeitspausen peinlich berührteBlicke zu den Trauernden hinüber – hin- und hergerissen zwischen der eigenen Erleichterung über das Verlöschen des Feuers und der Wahrnehmung der nachbarlichen Katastrophe. Das Gelächter kontrapunktisch begleitend tönte das scharfe Hacken von Hustenanfällen über der Feier.
    Cyprian stolperte über die glimmenden Überreste des Hauses, rollte dort ein Trümmerstück beiseite und zerrte hier an einem Balken. Seine Hände waren pechschwarz, sein Gesicht eine Rußmaske. Die Stunde zuvor war er wie wild über den Schutthaufen geklettert und hatte laut nach Agnes gebrüllt, sinnlos fluchend Trümmer herumwerfend und nur durch unfassbares Glück weder in eine Glasscherbe fassend noch in einen der vielen Glutherde, die an den Kanten von Holzbalken hingen. Jetzt fühlte er sich erschöpft, ausgeleert. Der Husten wurde leichter, überfiel ihn aber immer noch. Einmal war er auf die Knie gesunken und hatte gewürgt, aber er hatte zu wenig im Magen, um sich übergeben zu können. Langsam sickerte die Erkenntnis in ihn, dass Agnes entweder irgendwo unter dem Schutt lag und damit so tot war wie die Frau, die er irrtümlich für sie gehalten hatte, oder nicht im Haus gewesen war, und damit spurlos verschwunden. Er klammerte sich an letztere Möglichkeit, ohne sich wirklich dessen bewusst zu sein. Cyprian auf dem Schutthaufen des Wiegant’schen Hauses war die Hülle eines Mannes, der stets überzeugt gewesen war, alles im Griff zu haben, und der nun völlig ratlos überlegte, ob sein Leben in Trümmer gegangen war oder ob er noch eine Chance hatte zu kämpfen. Er warf einen Blick zu Andrej von Langenfels hinüber.
    Andrej hatte die Tote auf seinen Schoß gezogen und schluchzte, das weinende Kind auf dem Arm. Das Ehepaar Wiegant sowie Sebastian Wilfing senior standen beiseite mit den Gesichtsausdrücken von Menschen, über denen eine Mauer zusammengebrochen ist und die, nachdem sich der Staub gelegt hat, feststellen, dass sie genau in einer Fensteröffnung gestanden haben. Sebastian junior bearbeitete die Dienstbotenschar und versuchte herauszubekommen, wo Agnes war. Agnes’ Magd war ein zitterndes Nervenbündel und völlig unansprechbar.
    Cyprian schaute Andrej zu, wie dieser der Toten eine Haarsträhne aus der Stirn wischte. Er hatte sie nicht gut gekannt und meinte doch, einen Menschen verloren zu haben, der ihm nahegestanden hatte. Es kam nicht nur daher, dass er sie für Agnes gehalten und sein Leben riskiert hatte, um sie aus dem Feuer zu retten. Er versuchte Erleichterung darüber zu empfinden, dass die Tote nicht Agnes war, doch sein Fühlen war ein einziger

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