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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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er Agnes’ Puls zu finden. Nichts. Er presste die Hand auf ihren Mund und fühlte die Feuchtigkeit von Tränen oder Blut. Nichts. Seine Hände flatterten über ihren Ausschnitt, er hörte sich vor Wut und Entsetzen schreien, und dann riss er ihr Dekolleté mit einem Ruck auf. Er fuhr mit der Hand darunter, ertastete ihr Herz, fühlte keinen Herzschlag.
    »Nein! NEEEEIIIN!« Der Schrei zerfetzte seine Kehle. Er spürte Blut im Mund. Wie von Sinnen griff er um ihre Mitte und zerrte sie hinter sich her, robbte zur Tür, kam auf die Beine, warf sie sich über die Schulter und stürzte hinaus, unempfindlich gegen die Hitze, unempfindlich dagegen, dass seine Wimpern, seine Augenbrauen und seine Stirnhaareversengten, rannte mit seiner Last auf der Schulter den Gang entlang, empfand sie als leicht, viel leichter, als sie ihm jemals vorgekommen war, kam auf dem Treppenabsatz an und starrte in einen glühenden Trümmerhaufen, wo zuvor die Treppe ins Erdgeschoss gewesen war. Links, wo die Wand gewesen war, die das Treppenhaus von den Lagerräumen im Erdgeschoss abgrenzte, klaffte ein Loch mit glühenden Rändern, auf den Trümmern schwelte ein mächtiger Tragbalken, der herabgefallen war und die Wand eingeschlagen hatte. Der Weg nach unten war versperrt.
    Stöhnend und keuchend arbeitete sich Cyprian die Treppe hinauf nach oben. Er spürte, wie Agnes’ Kopf schlaff gegen seinen Rücken baumelte. Die Finsternis war jetzt auch hier fast vollkommen; Licht gab es nur, wo das Feuer durch den Rauch hindurch gloste, und in diesem Licht konnte man nicht einmal erkennen, wohin man seine Füße setzte.
    Im Obergeschoss hatte sich das Feuer näher herangefressen. Cyprian wandte sich davon ab. Zur Linken ging der Gang weiter. Er folgte ihm, mittlerweile mit fast ständig geschlossenen Augen. Sie nützten nichts mehr. Seine anderen Sinne arbeiteten wie verrückt und brachten ihn unverletzt ans Ende des Ganges wie eine Fledermaus durch die Nacht. Er prallte an eine Wand. Agnes’ regloser Körper rutschte beinahe herab; er packte sie fester. Eine Sackgasse. Seine Gedanken rasten.
    Der Gang mit den Dienstbotenkammern verlief im Kniestock des Gebäudes. Jenseits lag der große Trockenspeicher mit dem Dachfirst. Es musste einen Zugang vom Dienstbotentrakt geben. Er schob sich mit der Schulter an der Wand zurück in Richtung auf das Glühen zu. Nach ein paar Schritten sackte er gegen eine Tür, die sich knarrend bog. Er warf sich dagegen. Sie widerstand. Er trat sie mit den Füßen, schreiend, spuckend und fluchend. Sie war massiv. Mit einer Hand Agnes’ Beine festhaltend, fuhr er mit anderen über das Türblatt, fand eine Klinke, drückte sie – die Tür schwang auf. Was dahinter war, raubte ihm den Atem.
    Das Dach war in der Mitte in sich zusammengebrochen. Die Giebel waren noch halbwegs heil, wenn auch der Zusammenbruch die meisten Dachschindeln heruntergerissen hatte. Cyprian sah den dunkelblauen Nachthimmel, in den sich die Lohe aus dem Hausinneren erhob. Die Hitze war nicht weniger hier, aber plötzlich schien sie leichter erträglich. Cyprian erkannte eine Öffnung in der Giebelwand zu seiner Linken, nur ein paar Schritte entfernt. Er torkelte darauf zu. Es war die Ladeluke; der Ladegalgen ragte darüber hinaus. Kühle Luft schlug ihm entgegen; seine tränenden Augen bissen und ließen ihn nur verschwommene Umrisse erkennen. Er hörte Geschrei und brach vor der Ladeluke erneut in die Knie.
    »Hier! He, hier!«
    Cyprian riss die Augen auf. Die Gasse war nur wenige Schritte breit. Im Haus auf der anderen Seite befand sich ebenfalls eine Ladeluke. In ihrer Öffnung kauerten Männer mit und ohne Helme. Sie winkten. Er stierte sie an. Schließlich verstand er und ließ sich beiseitefallen.
    Zwei Taue mit mehrfachen Eisenhaken an den Enden flogen herüber und verankerten sich links und rechts am Rand der Ladeluke. Die Wachen auf der anderen Seite zogen sie straff. Ein Brett mit langen Eisenschienen an der Seite schob sich aus dem gegenüberliegenden Haus und taumelte mit seinem vorderen Ende in die Luft, fiel auf die straff gespannten Seile und wurde an ihnen entlang weitergeschoben, bis es über die Schwelle der Ladeluke polterte.
    »Komm rüber!«
    Cyprian riss sich zusammen.
    »Ich habe eine Verletzte«, krächzte er.
    »Sie zuerst!«
    Einer von den Männern drüben kroch vorsichtig auf das Brett hinaus. Es knarrte und bog sich. Cyprian kroch ihm entgegen und war froh, dass er die schwindelnde Tiefe unter sich nur undeutlich sah. Das

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