Die Teufelsbibel
sagte Niklas Wiegant. »Das Kind ist bei der Geburt gestorben. Es wäre heute ein junger Mann, der schon an eigene Kinder denkt.«
»Ich wäre selbst beinahe bei der Geburt gestorben«, zischte Theresia Wiegant. »Es ist nicht so, dass sein Tod meine Schuld wäre.«
»Das habe ich nie gesagt«, erklärte Niklas Wiegant.
»Ich konnte danach keine Kinder mehr bekommen«, sagte Theresia Wiegant und starrte Pater Xavier an.
»Theresia, die Wege Gottes sind …«
»Ich habe nie auch nur einen Augenblick über Gottes Wege geklagt!«
»Nein, über Gottes Wege nicht«, seufzte Niklas Wiegant.
»Es steht mir nicht an, zu richten, schon gar nicht als Ihr Gast«, sagte Pater Xavier. Theresia Wiegant starrte ihn weiterhin an.
»Doch«, sagte sie. »Richten Sie! Sie kennen meinen Mann von früher. Ich habe ihn Ihren Namen immer nur mit Hochachtung aussprechen hören. Richten Sie. Sagen Sie ihm, dass es falsch war, was er getan hat.«
»Theresia, ich bitte dich! Pater Xavier ist müde von der Reise.«
»Sie haben Recht, mein Freund. Die Bescheidenheit verbietet mir, mich Ihren Vertrauten zu nennen, und daher …«
»Ich habe Sie immer als meinen …«
»Mir ein Balg unterzuschieben!«, stieß Theresia Wiegant hervor.
»Theresia, das Kind hat einen Namen!«
»Das macht es nicht weniger zu einem Balg!«
Die beiden starrten sich an, an einem Punkt angekommen, den sie zweifellos schon viele Male zuvor erreicht hatten.
»Ich versuche zu ermessen, wie schwer es für eine Frau sein muss, der Gott keine eigenen Kinder schenkt, die Frucht des Leibes einer anderen Frau aufzuziehen«, sagte Pater Xavier und machte ein mitfühlendes Gesicht.
Theresia Wiegant drehte sich um und sah ihn an. Die Farbe wich aus ihren Zügen, während sich ihre Augen weiteten.
»Dennoch ist es Ihre Pflicht, das Kind anzunehmen. Gott der Herr hat die Schritte Ihres Mannes geleitet.«
»Gott der Herr!«, stammelte Theresia. »Der Teufel, Pater, es war der Teufel.«
Niklas Wiegants Gesichtszüge waren verzerrt. Er sah aus, als wollte er im nächsten Moment weinen oder losbrüllen oder jemanden mit den Fäusten traktieren. »Der Teufel, Theresia?« Er stöhnte auf. »Agnes ist unser Kind, und du sprichst vom Teufel?«
»Soll ich mir vielleicht vorsagen, du hast mich betrogen, ohne dass der Teufel dich dazu verführen musste?«, schrie Theresia Wiegant.
»Ich habe dich nicht betrogen, ich habe dich nie …«
»Es ist diese Hexenstadt«, keuchte Theresia. »Sie hat meinen Mann angesteckt. Ich war immer schon gegen die Handelsniederlassung in Prag, Pater. Prag ist die Stadt des Leibhaftigen. Deshalb hat es ihn auch dort so hingezogen, diesen Beelzebub auf dem Kaiserthron. Deshalb hat er Wien verlassen und sich in den Hexenpfuhl begeben, den der aufrechte Bischof Johannes von Nepomuk mit seinem letzten Atemzug verflucht hat. Zuerst hat er versucht, Wien zu verderben, als er nach all den Jahren zurückkam; jeder sagte, Kaiser Maximilianhat seinen ältesten Sohn nach Spanien geschickt, aber er hat einen schwarzen Teufel wiederbekommen, und seine schlechte Seele wird man bald in ganz Wien riechen. Doch Wien hat ihm zu viel Widerstand geleistet, und deshalb ist er dorthin gegangen, wo er unter seinesgleichen ist – nach Prag!«
Du sprichst ein wahres Wort, Weib, dachte Pater Xavier. Spanien hat Rudolf von Habsburg verändert, aber nicht so, wie du es dir vorstellst. Spanien hat lediglich einen weiteren schwachen Geist zerbrochen, weil Spanien nur die liebt, die starken Geistes sind. Du hast keine Ahnung – alles, was du hast, ist der Zorn einer betrogenen Frau.
»Prag ist wie jede andere Stadt«, sagte Niklas verbissen. »Nur schöner.«
»Solange dieser Hexenmeister in Wien war, wollte kein aufrechter katholischer Bischof seine Aufgabe antreten – wussten Sie das, Pater Xavier? Der Bischofsstuhl stand leer! Als er aus Spanien zurückkam, begannen die lutherischen und kalvinistischen Ketzer Wien zu verseuchen, bis es mehr davon gab als rechtgläubige Katholiken, und es kam so weit, dass die Ketzer sich erdreisten konnten, die Hostie beim Fronleichnamsumzug zu schänden, und der Innere Rat sagte als einzige Reaktion darauf den Umzug ab – anstatt dem Verbrecher die Zunge und die Hände abzuschneiden!«
»Theresia, so darfst du nicht über den Kaiser reden!«
»Der Kaiser hat die Sünde nach Wien gebracht, und du bringst die Sünde in unser Haus!«
»Ein kleines Kind ist nicht die Verkörperung der Sünde!«, brüllte Niklas
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