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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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wahrnahm und was, kann ich nicht sagen. Es starrte mich die ganze Zeit über mit diesen weit offenen, riesengroßen Augen an, ohne zu blinzeln. Acht von zehn Kindern in Findelhäusern sterben, Pater Xavier! Wollen Sie wissen, woher ich das weiß?«
    Niklas wartete nicht ab, bis Pater Xavier sich geäußert hatte.
    »Weil ich schon vorher mit dem Gedanken gespielt habe, ein Kind aus dem Waisenhaus zu retten und in unsere Familie aufzunehmen. Glauben Sie mir, Pater Xavier, meine Frau war nicht immer so, wie Sie sie heute kennen gelernt haben. Die Kinderlosigkeit hat sie verbittert. Es gäbe keine bessere Gefährtin, um Haus und Hof und Geschäft zusammenzuhalten, und es gibt keine in ganz Wien, die ihr dabei das Wasser reichen könnte, und doch glaubt sie, dass sie versagt hat – weil sie keinem Kind das Leben schenken konnte. Ich habe so oft gedacht, dass dies die Lösung wäre: ein Kind anzunehmen. Ich habe es niemals gewagt. Bis auf dieses eine Mal – als dieses Kind mich mit seinen großen Augen ansah und mir zu verstehen gab: Du hast die Macht, mich zu retten. Rette mich, Niklas Wiegant.«
    »Beruhigen Sie sich, mein Freund. Ich kenne die Größe Ihres Herzens. Was Sie taten, glaubten Sie im Einklang mit Gott zu tun.«
    »Ich tat es im Einklang mit Gott, auch wenn Ihnen das als Blasphemie erscheinen mag! Wissen Sie, wie die Zustände in Findelhäusern sind? Es sind die reinen Mördergruben. Als ich eintrat, trug man mir schon eine Kiste entgegen. Es waren mindestens drei Kinderleichen darin, einfach hineingeworfen und schon mit Kalk überstäubt. Ich konnte nicht – ich musstewieder an diesen Anblick denken, als ich dem Kind in die Augen sah.«
    »Gott sei den armen Seelen gnädig«, sagte Pater Xavier, weil er wusste, dass dies angebracht war. Er beobachtete Niklas Wiegant, der sich mit den Händen über die Augen wischte und – dessen war Pater Xavier sicher – vor seinem inneren Auge weder jetzt noch damals vor achtzehn Jahren die drei toten Kinder in der Kiste gesehen hatte, sondern nur ein Kind, und zwar sein eigenes, das, auf dessen Geburt er sich die ganze Zeit in Madrid gefreut hatte und das man vermutlich nicht einmal in einer Kiste, sondern in ein Tuch gewickelt begraben hatte, ein stilles Bündel, das einen Atemzug getan und dann nie wieder geatmet hatte.
    »Ich habe eine Spende gegeben und das Kind mitgenommen. Ich habe eine Kinderfrau gemietet, die es zu sich nahm und aufpäppelte, sechs, acht Wochen lang, ich weiß nicht mehr genau, wie lange. Das Kind gedieh. Es starb nicht, es wurde nicht einmal krank, wann immer ich es besuchte, sah es mich die ganze Zeit über mit seinen großen Augen an, und ich fragte mich nicht nur einmal und frage mich immer noch, ob Gott der Herr die Seele unseres toten Kindes nicht noch einmal auf die Welt zurückgeschickt hat, um ihr eine zweite Chance zu geben, und ob Gottes Engel es nicht so gedeichselt haben, dass ich ihr begegnete.«
    Niklas Wiegant tastete blind in seinem Wams herum, fand schließlich ein Tuch in seinem Ärmel, zog es heraus und schnäuzte hinein. »Entschuldigen Sie, Pater Xavier«, sagte er.
    »Keine Ursache, mein Freund«, erwiderte Pater Xavier und verzog den Mund.
    »Im Nachhinein sagte ich mir, dass ich Theresia von Anfang an hätte einweihen müssen. Aber ich fürchtete damals, dass sie meinen Plan ablehnen würde. Ich konnte doch nicht ahnen, wie berechtigt meine Furcht war. Ich dachte damals, wenn sie das Kind ablehnt, noch bevor es in unserem Hausist, dann kann ich es auch nicht über unsere Schwelle bringen; also muss ich es zuerst mit nach Hause bringen, und dann wird sie es sehen und binnen kurzer Zeit so lieben, wie ich es liebe.«
    Niklas Wiegant schüttelte den Kopf und benötigte das Tuch erneut. Pater Xavier betrachtete den zusammengesunkenen, massig gewordenen Leib des Kaufmanns auf der Truhe. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung bei der Tür wahr, und, ohne aufzusehen, erkannte er: eine junge Frau, hochgewachsen, schlank, bereits fraulich, eine Mähne lockigen dunklen Haares, eine hohe Stirn, kühn geschwungene Brauen, blitzende Augen über hohen Wangenknochen – eine Schönheit, die sich selbst seinem schwachen Augenlicht offenbarte, die noch nicht einmal zu voller Blüte gereift war und die keinerlei Ähnlichkeit mit Niklas oder Theresia Wiegant hatte. Ein Wesen, das der Teufel erschaffen hätte, um die Menschen zu verführen, wenn der Teufel nicht mit ganz anderen Methoden gearbeitet hätte. Die junge Frau blieb

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