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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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mich abzulenken«, sagte sie fast unwirsch. »Wir sind in Schwierigkeiten, oder? Was ist das hier – die Überreste eines Schlachtfelds?« Sie ahnte, dass er ihr heftig klopfendes Herz zwischen ihren Worten hervorpochen hörte. Die Männer vorn auf der Straße warfen lange Schatten, die wie Lanzenspitzen in ihre Richtung zielten.
    »Der Schutzpatron der flüchtigen Töchter hat die Hände über dich gehalten«, seufzte Cyprian. »Hier fand heute Morgen der Versuch eines Haufens verbohrter katholischer Spinner statt, die Lichtmessprozession nachzuholen, die in der Stadt verboten worden ist. Der Pfarrer von Gumpendorf hat dazu aufgerufen. Ein anderer Haufen, diesmal verbohrte protestantische Spinner, hat die Prozession vorzeitig beendet.« Er stieß einen Stein aus dem Weg, und der Stein rollte träge beiseite und zeigte einmal eine dunkelrot-klebrige, einmal eine helle Seite. »Zuletzt hat die Besatzung der Oberen Paradeisbastei alles miteinander beendet: Prozession, Gegenprozession, Steinigung und Straßenschlacht. Du bist genau zu dem Zeitpunkt hier angekommen, an dem gerade alles vorüber war.«
    »Und die da vorne?«
    »Das sind die Wölfe, die immer im Nachgang zu so einer Geschichte durch die Ruinen streifen.«
    »Wir haben ihnen doch nichts getan …«
    »Darüber«, sagte Cyprian scheinbar vollkommen gelassen, »werden sie großzügig hinwegsehen.«
    Agnes zwang sich, weiterzugehen und Cyprians entspanntem Schlendern zu folgen. »Was sollen wir jetzt tun?«, fragtesie und verachtete sich im selben Atemzug dafür, so ängstlich zu klingen. Mittlerweile konnte sie die Gesichter der Männer vorne auf der Straße sehen. Sie hatten übertrieben befremdete Mienen aufgesetzt, als versuchte ein schlechter Komödiant, gerechte Empörung zu heucheln. Agnes wusste, dass es das Vorspiel zu einem Tanz war, dessen Eröffnung die gekränkte Frage war: Was macht ihr denn hier? Den Wölfen der Straße bereitete es Spaß, einen Vorwand zu konstruieren, besonders, wenn sie das absolute Monopol an der Gewalt hatten und ebenso gut auch einfach zuschlagen konnten.
    »Keine Bange«, sagte Cyprian. »Ich habe alles im Griff.«
    Im nächsten Moment stolperte er, krümmte sich zusammen, fiel auf die Knie, griff sich an die Brust und begann zu husten und zu spucken.
    3
    Andrej von Langenfels starrte zum Fenster hinaus und in die Kloake hinab, die die Rückseite des Hauses vom Ufer der Moldau trennte. Er hatte das dicke Glas zuerst mit dem Ärmel sauber wischen müssen, um wenigstens halbwegs hindurchsehen zu können; eine Bewegung, die er ohne Nachdenken vollführt hatte, weil sie in den letzten Monaten eines der vielen Dinge in seinem stets wachsenden Repertoire an Dienstleistungen gewesen war.
    Ecco, Andrea, mak’ die finestra sauber, die scientia brauk’ Lischt! Mak’ die camino sauber, die scientia brauk’ frische Feuer! Mak’ die Bett sauber, monna Lobkowicza brauk’ wieder la futura geweissag’!  – Letzteres begleitet von einem Zwinkern der schwerlidrigen Augen und dem Nachsatz: Und dann mak’, dass du verschwind’, solang monna Lobkowicza da is’, isch brauk’ keine publico beim Ficken!
    Der stinkende, rußige Niederschlag, der jede Oberflächeim Hinterzimmer des kleinen Hauses in der namenlosen Gasse des kanaldurchzogenen, schmierig-feuchten Viertels östlich von Santa Maria unter der Kette bedeckte, war schwer zu beseitigen. Eine Atmosphäre des Scheiterns beherrschte die Gegend; Andrej war sensibel genug, sie zu fühlen. Hier hatten die Johanniter in früheren Zeiten eine Ordenskommende erbaut, die die Karlsbrücke wie eine Festung gesichert hatte; Bürgerhäuser waren entstanden, deren Bewohner den Malteserrittern gerichtspflichtig waren; die Kirche Maria unter der Kette war als einer der gewaltigsten Bauten Prags geplant gewesen. Die ständigen Kämpfe gegen die Türken im Mittelmeerraum und die große Schutzflotte, welche die vor mehr als einem halben Jahrhundert nach Malta umgesiedelte Ordenszentrale unterhielt, hatten das Vermögen der Ritter jedoch ausbluten lassen. Lepanto war ein Sieg gewesen, doch für den Orden teuer erkauft – in Blut wie in Münzen, und er hatte nicht einmal nachhaltige Wirkung gehabt. Die Kirche saß nun im Mittelpunkt eines Terrains, das aus leisem Zerfall, bröckelndem Mauerwerk und sauer gewordenen Hoffnungen bestand, selbst eine Totgeburt mit abgebrochener Fassade und Turmstümpfen, um die ein morsches Gerüst und Sackleinenbahnen hingen wie ein zerschlissenes

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