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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Totenhemd.
    Andrej klemmte den Ärmel seines Hemdes erneut in die Faust und wischte über das Glas. Das unsichere Licht des späten Märzmittags versuchte hereinzusickern, gab aber in der Enge der Gasse auf. Hier, in den vergessenen Winkeln Prags, versank alles im Schatten der brüchigen Hausmauern oder erstickte im Nebel; manchmal, so schien es Andrej, versank hier auf der Kleinseite der Stadt auch alles im Wahnsinn des Mannes oben auf der Burg, Kaiser Rudolfs von Habsburg.
    Andrej war nun schon den vierten Tag allein in dem kleinen Haus. Er ahnte, dass sein Herr und Meister nicht mehr zurückkehren würde. Er fühlte ein seltsames Bedauern und eine gute Portion Selbstmitleid. Es schien sein Schicksal zusein, von denen verlassen zu werden, auf die er sich verließ, gerade wenn er glauben durfte, dass er aus dem Schlimmsten herauskommen würde, so wie es überhaupt sein Schicksal zu sein schien, sein Leben als einsames Strandgut zu fristen. Giovanni Scoto hatte jedenfalls letzte Woche noch gemurmelt, dass Kaiser Rudolf solchen Gefallen an seinen Zaubereien gefunden hatte, dass sie demnächst ein neues, luxuriöseres Haus in der Goldmachergasse auf der Burg beziehen würden. Jetzt war das Einzige, das noch von Giovanni Scotos Existenz zeugte, der fette Niederschlag seiner alchimistischen Experimente an den Wänden. Wo immer er jetzt auch war – Scoto war weg, mit ihm das ganze Geld, alle Kleider und sogar das halbverschimmelte Brot, von dem sie sich tagelang ernährt hatten und das so hart war, das man den Grundstein einer Festung damit hätte unterfüttern können.
    Andrejs Gedanken waren jedoch weniger bei seinem geflohenen Herrn und seiner eigenen höchst ungewissen Zukunft als tief in der Vergangenheit. Ein Alptraum hatte ihn heimgesucht, den er schon überwunden geglaubt hatte. In den ersten Jahren war der Traum noch ein unregelmäßiger Begleiter seiner Nächte gewesen, ein Besucher, der mindestens einmal im Monat erschien und ihn manchmal weniger, manchmal mehr verwirrt zurückließ; es hatte Fälle gegeben, da hatte er sich sogar genau wie damals als kleiner Junge vor lauter erinnerter Todesangst benässt. Denn der Traum war nicht eigentlich ein Traum – er war eine aktiv gebliebene Erinnerung, die irgendwie ein eigenes Leben bekommen hatte und ihn terrorisierte. Erst in den letzten paar Jahren war er immer seltener aufgetaucht, und Andrej hatte schon fast die Angst vor seinem Kommen überwunden. Doch gestern Nacht hatte sich der Traum wieder gemeldet, ihn mit den Geräuschen und den Bildern überschwemmt, die vergessen zu können er seinen rechten Arm gegeben hätte.
    Wieder und wieder sah er das verzerrte Gesicht des Mönchs,wie er über den Klosterhof auf ihn zukam, um ihn mit der Axt zu erschlagen, so wie er die Frauen und Kinder vor dem Eingang zum Klosterbau erschlagen hatte, so wie er Andrejs Mutter erschlagen hatte. Dann hatte aus dem brüllend aufgerissenen Mund des Mörders plötzlich die blanke Spitze eines Armbrustbolzens geragt, und der Mönch war in sich zusammengefallen wie eine leere Kutte und direkt vor Andrejs Füßen auf den Boden geschlagen. Aus seiner Kutte war etwas wie eine große Münze gerollt, über den Boden gehüpft und Andrej gegen das Bein geprallt. Der Aufprall war leicht, doch er hatte ihn aus seiner Erstarrung gerissen.
    Er war herumgewirbelt und gegen das morsche Klostertor gesprungen, bis die Mannpforte halb aus den Angeln fiel, über das Tor hinweggekrabbelt und durch den Spalt zwischen Torflügel und Gewölbe hindurch ins Freie. Zwischen den Bauernhütten, die sich in respektvollem Abstand zum Kloster am Fuß des flachen Abhangs hinzogen, hatte der Graupelschauer schon aufgehört, und als das Seitenstechen begann, schien bereits wieder die Sonne. Andrej war gerannt und gerannt, bis er zu Boden fiel und das Abendessen des Vortags auskotzte – und mit ihm jedes einzelne fasziniert aufgesogene Wort der Erzählung seines Vaters von verbrannten Mönchen und grässlichen Bußen und Büchern, die zum Heil bestimmt waren und Verderben brachten. Zwischen dem Auswurf hatte die Münze aus der Kutte des Mönchs matt geglänzt, von der er nicht gewusst hatte, dass er sie vom Boden aufgenommen hatte. Er hatte sie herausgefischt, mit leeren Augen betrachtet, abgewischt und eingesteckt; danach war er aufgestanden und weitergerannt, in irgendeine Richtung. Niemand verfolgte ihn. Wahrscheinlich hatte niemand ihn gesehen außer dem Mörder, und der war tot.
    Er war gerannt und gerannt,

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