Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
bis er irgendwann vom Handelstreck eines Kaufmanns aufgelesen wurde, der ihn offensichtlich für einen Narren hielt und ein gutes Werk tunwollte, indem er das schwachsinnige Kind mitnahm und in seiner Heimatstadt in die Obhut barmherziger Brüder gab. Als Andrejs Verstand nach Wochen endlich wieder zurückkehrte, fand er sich zwischen Verrückten aller Altersstufen in der Hand von Mönchen wieder, und es hätte beinahe genügt, um seine Seele für alle Zeiten über die Kante des Abgrunds zu stoßen. Aber nach dem ersten Panikanfall bekam er sich in den Griff, und wenige Nächte später konnte er durch die nur unzulässig geschlossene Klosterpforte fliehen und wurde vom Trubel der großen Stadt verschluckt, in der er gelandet war. Es dauerte eine Weile, bis ihm jemand sagte, dass es die Stadt Prag war.
    Er hatte weder seinen Vater noch seine Mutter jemals wiedergesehen; es gab keinen Zweifel daran, dass sie tot waren. Wie das Kloster hieß oder wo es lag, in dem die Suche seines Vaters so unerwartet zum Ende gekommen war, wusste Andrej nicht. Er versuchte es auch niemals herauszufinden.
    Das Schicksal hatte es für richtig befunden, ihn auf dem langen Umweg über das Leben in der Gasse, das Betteln und das Abschneiden von Beuteln reicher Herren in die Hände eines Mannes zu führen, der den Betrug zu einer Kunst entwickelt hatte: des Alchimisten Giovanni Scoto.
    Scoto war mit Informationen über seine Person sparsam umgegangen; irgendwann war Andrej aufgefallen, dass er aus dem Nichts gekommen zu sein schien und dass er, Andrej, in den Gassen und Schänken mehr Tratsch über seinen Herrn hörte als aus dessen eigenem Mund – über öffentliche Zaubervorführungen, über Gestaltwandel und Unsichtbarwerden, über gnadenlos ausgeübte Macht gegenüber Fürsten und Königen und über die Vermutung, Scoto sei ein Dämon, den der Teufel aus der Hölle verbannt hatte, weil er sich vor ihm fürchtete. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich ernsthaft daran gemacht, Scoto auszuhorchen, aber irgendwie hatte es nie geklappt. Spätestens bei einem langen Blick in die schwarzenMurmeln, die der Alchimist anstelle von Augen hatte und die unter stets spöttisch hochgezogenen Augenbrauen zu glitzern schienen, vergaß Andrej, was er hatte fragen wollen. Vielleicht war dies das Talent Giovanni Scotos: die Leute vergessen zu lassen, dass sie ihm eigentlich ein paar unangenehme Fragen stellen wollten.
    Andrej selbst hatte ebenfalls zu allen Gerüchten geschwiegen. Er hatte seinen Herrn essen, trinken und auf den Abtritt gehen sehen, er hatte sein Schnaufen belauscht, wenn er eine der vielen Frauen vögelte, die ihm haufenweise zu Füßen lagen, und er hatte ihn beobachtet, wie er Wutanfälle bekam, weil seine alchimistischen Experimente misslangen, und daraus geschlossen, dass er es im Grunde mit einem normalen Menschen zu tun hatte. Und dieser Mensch hatte sich wieder einmal unsichtbar gemacht, indem er ganz einfach leise wie eine Katze bei Nacht und Nebel davongeschlichen war.
    Andrej wandte sich von dem traurigen Ausguck ab und schlüpfte aus der Kammer. Im einzigen anderen Raum des Hauses angekommen, starrte er in die Düsternis. Wahrscheinlich war es das Beste, ebenfalls zu verschwinden. Irgendwann würde jemand an die Tür klopfen, und wenn es nur der Eigentümer des Hauses war, der bislang noch jeden einzelnen Mietpfennig mit Gewaltandrohung aus seinem Mieter hatte herauspressen müssen. Andrej vermutete, dass es noch weitere Gläubiger gab – ganz abgesehen von den gehörnten Ehemännern, den düpierten Brüdern und den überlisteten Vätern der Scoto’schen Bettgefährtinnen, die eine Rechnung mit dem Alchimisten offen hatten; und er wusste, dass Scoto in den anderen Alchimisten in Prag nur Feinde hatte, allen voran die beiden Engländer in der Umgebung des Kaisers. Keiner hasst einen Scharlatan so sehr wie sein Kollege. Es gab so viele Menschen in Prag, die jederzeit durch die Tür kommen, Andrej anstatt Scotos finden und ihr Mütchen an ihm kühlen konnten. Andrej hatte es in den letzten achtzehn Jahren stetsgeschafft, dem Gefängnis fernzubleiben, und er hatte nicht vor, stellvertretend für das Schlitzohr, das ihn aufgenommen hatte, dorthin zu wandern – und noch weniger, seinetwegen verprügelt zu werden. Dennoch zögerte er. Dass der Traum so unvermittelt wiedergekommen war, hatte ihn erschüttert. Unwillkürlich fischte er in seinem Hemd herum und zog die Münze heraus, das Einzige, was ihm von damals geblieben war außer

Weitere Kostenlose Bücher