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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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verschwammen die harten Konturen und ließen sein Gesicht plötzlich jungenhaft wirken. In seinen Augen tanzte ein Lichtfleck. Er lächelte.
    »Geht’s wieder?«, fragte er.
    Agnes wischte sich die neuen Tränen aus dem Gesicht. »Wo kommst du denn her?«, murmelte sie.
    Er spähte über die Schulter, ohne seine Position zu verändern. Unwillkürlich folgte sie seinem Blick. Es war eine seiner Fähigkeiten, ihren Blick ständig dem seinen folgen zu lassen, als wäre jegliche Szenerie, die er betrachtete, auf jeden Fall interessanter als der Rest der Welt. Die Dächer und Türme von Wien schimmerten matt vor dem graugrünen Hintergrund des Wienerwalds; die mächtigen Vorwerke der Stadtbefestigung warfen Schatten über die Kies- und Grasebene, die die Stadt umgab. »Von dort«, sagte er. Er richtete den Blick wieder auf sie. Das Lächeln um seine Lippen spiegelte sich in seinen Augen, doch es überdeckte die Sorge darin nur unvollständig.
    Agnes seufzte. »Und wo willst du hin?«
    Er deutete auf sie. »Nach hier.«
    Überrascht erkannte sie, dass sie sein Lächeln erwiderte. Die Überraschung ließ die Tränen wieder fließen.
    »Warum?«, flüsterte sie erstickt.
    Er betrachtete sie ruhig und ohne sich zu bewegen. »Warum ich hier bin? Vor eurem Haus gab es einen kleinen Aufruhr: Meister Wiegant, der rief: ›Lassen Sie mich los, ich muss zu meiner Tochter!‹ Ein fischiger Dominikaner, der ihn festhielt und sagte: ›Sie machen alles nur noch schlimmer, mein Freund!‹ Und ein Haufen von Leuten, die gafften und dämliche Bemerkungen machten und die Straße verstopften, dass ich nicht anders konnte als nachsehen gehen, was los war.«
    Agnes schlug die Hände vor das Gesicht und weinte lautlos. »Dieser Teufel!«, flüsterte sie. »Dieser Teufel!«
    Dumpf hörte sie Cyprians Stimme, die sagte: »Dieser Dominikaner – ich glaube, Onkel Melchior dürfte sich für ihn interessieren.«
    Es jagte ihr einen weiteren Schauer über den Rücken. Melchior Khlesl, der Bischof von Wiener Neustadt, Cyprians Onkel, war ein Mann, über den es jede Menge Gerüchte gab. Sein Bistum südwestlich von Wien führten ein Generalvikar, ein Offizial und ein Kanzler gemeinsam, während der Bischof selbst in Wien weilte und seinen eigenen Geschäften nachging. Viele billigten ihm genügend Einfluss am Hof zu, den Kaiser zu stützen oder zu stürzen; manche flüsterten – und hofften –, der Bischof denke bereits über Letzteres nach, um das Reich vor der Untätigkeit Kaiser Rudolfs zu retten. Was Cyprian betraf, so ahnte sie, dass seine Verbindung zu seinem Onkel über das hinausging, was sie von ihr wusste – dass der Bischof der Einzige in der Familie Khlesl war, zu dem Cyprian uneingeschränktes Vertrauen hatte. Ihre Verbindung ging bis zu jenem Tag zurück, an dem Cyprians Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater zu einem dramatischen Höhepunkt gekommen waren und nur der Bischof für Cyprian eingestanden war. Für Agnes war Bischof Khlesl ein grauerSchatten, den sie nicht einschätzen konnte und von dem sie zuweilen das Gefühl hatte, sie brauche sich nur umzudrehen, und er stehe hinter ihr. Cyprians Worte jagten ihr Angst ein, als würde das Interesse des Bischofs an dem unheimlichen Dominikanerpater eine Tür öffnen, hinter der Chaos herrschte, und das Chaos würde zuallererst sie verschlingen.
    »Was wollte der Bursche von deinem Vater?«
    ›… und so ist es gekommen, dass Ihre Tochter Agnes in Wahrheit gar nicht Ihre Tochter ist …‹   
    »Die Vergangenheit wiederbeleben«, wisperte sie mit dem Geschmack von Galle im Mund.
    »Wenn du so weit bist, sollten wir wieder zurückgehen.«
    »Zurückgehen?« Sie machte ein bitteres Geräusch. »Wohin?«
    Er sagte nichts. Agnes hob den Kopf und starrte ihn an. »Nach Hause?«, zischte sie. »Wolltest du sagen: nach Hause?«
    »Gibt’s was dagegen einzuwenden?«
    Sie schluckte. Ihre Kehle schmerzte, als hätte sie Glassplitter gegessen. »Ich wollte vorhin nicht wissen, warum du mitbekommen hast, dass ich davongerannt bin.«
    Sie spürte seinen Blick. Seinem Gesicht war nicht anzusehen, was er dachte, nur in seinen Augen konnte sie diese Besorgnis lesen, die sie von ihrer ersten Begegnung an gesehen und gespürt hatte: ob es etwas gab, mit dem er ihr helfen konnte, und ob er dazu genügend Kraft haben würde. Sie wusste besser als er selbst, dass er immer die nötige Kraft dazu besaß.
    »Ich wollte wissen, warum du es für wert erachtet hast, mir zu folgen.« Das

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