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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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rollten. Agnes lachte wie verrückt.
    »Zu Hilfe«, schrie sie, »zu Hilfe, er ist zu Stein geworden, er wird noch durch den Fußboden brechen, helft mir!«
    Sie hatte sich nie gefragt, warum dieser Junge, der vier Jahre älter war als sie, sich so oft mit ihr abgab, anstatt mit seinen Altersgenossen durch die Gassen zu ziehen. Cyprian war da gewesen, wenn sie lachen wollte, Cyprian war da gewesen, wenn sie weinen musste, und wenn er ging, tat er es jedes Mal mit dem Versprechen, zurückzukehren. Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihn dabei, wie er sich bemühte, die Pose aufrechtzuerhalten; da platzte die Kinderfrau herein, die Augen rotgeweint und hektische Flecken auf den Wangen.
    »Was ist das hier für ein Lärm!«, rief sie. »Junger Herr, erschrecken Sie das Kind nicht. Ich glaube, es ist besser, wenn Sie bei sich zu Hause nach dem Rechten sehen. Sehen Sie nur, das Kind ist ganz verschwitzt!«
    »Das kommt vom Lachen«, protestierte Agnes, doch Cyprian war schon aufgestanden und marschierte hinaus. In der Tür drehte er sich nochmals um und zog erneut sein versteinertes Gesicht, dann schlüpfte er, begleitet von Agnes’ neuerlichem Lachanfall, hinaus …
    … und ein paar Wochen später war Agnes durch die Tür hinter dem Altar in der Heiligenstädter Kirche geschlüpft. Die Tür war offen gewesen … Der junge, schweigsame Pfarrer hatte ihrer Versicherung geglaubt, ihre Eltern würden gleichnachkommen, und war weiterhin schweigsam und wie ein Schatten in die Sakristei gehuscht, so dass es schien, als gehöre er gar nicht hierher. Neben dem Altar standen brennende Unschlittkerzen und sagten: nimm uns mit … und Agnes ging den schwarzen See mit der versteinerten Frau suchen.
    Dass ihr Elternhaus kopfstand und die halbe Kärntner Straße schon nach ihr abgesucht worden war, kam ihr nicht in den Sinn. Dass sie eine für ein Kind ungeheure Strecke zurückgelegt hatte und ihre ständigen Fragen nach dem richtigen Weg nach Heiligenstadt nur durch viel Glück stets korrekt beantwortet worden waren, war ihr nicht klar. Sie stieg vorsichtig die Treppe hinunter, das Licht von der offenen Tür sickerte hinter ihr die Stufen hinab und blieb mit jedem Schritt, den sie machte, ein Stückchen zurück. Von unten herauf stieg eine Kühle, die sie überraschte, und ein trockener Modergeruch, der sie schlucken ließ. Sie glaubte, das Glucksen von Wasser zu hören und das schwere, träge Plätschern, das die schwarzen Fische machten, wenn sie an die Oberfläche kamen, um mit ihren Feueraugen in die Dunkelheit zu starren. Die Kälte strich um ihre Beine, unter ihr Kleid und an ihrem Leib hinauf. Die Kerze flackerte, aber ihre Hand schützte sie vor dem Luftzug. Die Treppenstufen waren aus hellem Stein und schimmerten in die Tiefe hinunter wie ein Finger, der sie lockte. Sie räusperte sich – das Geräusch fiel in die Finsternis hinein und kam als verzerrtes Echo wieder zurück. Agnes blickte über die Schulter – der breite, helle Spalt der Tür war überraschend nahe; mit zwei, drei Sprüngen hätte sie ihn erreichen können. Sie starrte wieder zurück in den Abgrund. Schließlich fasste sie sich ein Herz und stieg weiter hinab.
    Es war beinahe vollkommen dunkel, als die Treppe aufhörte und in einen mit buckligen Steinen ausgelegten Gang überleitete, dessen Wände links und rechts narbig, kalt und trocken waren. Agnes erschauerte in der Kühle. Voraus konntesie überhaupt nichts erkennen. Sie hielt die Kerze hoch. Die Flamme flackerte weiterhin hektisch – aus der Tiefe drang eine stetige, modrige Brise. Sie spähte erneut zur Tür zurück. Der breite Spalt war immer noch von beruhigender Größe. Sie hatte vielleicht das Äquivalent eines Stockwerks zurückgelegt auf ihrem Weg in die Tiefe hinunter; es war ihr länger erschienen, und die Kälte schien zu sagen, dass sie tief unter der Erde war, doch ein Stück der kühlen Vernunft, die der Umgang mit Cyprian in ihr geweckt hatte, sagte: Die Kirche steht auf einem kleinen Hügel, du bist wahrscheinlich kaum unterhalb des Gassenniveaus der Ansiedlung darum herum.
    Dann flackerte etwas außerhalb der Tür wie große Schwingen und warf seinen Schatten bis zu ihr herunter, jegliche Vernunft verließ sie innerhalb eines Lidschlags und rann zu ihren Füßen aus ihr hinaus, und die Tür fiel zu und dröhnte in ihren eigenen Herzschlag hinein. Sie schrie auf. Die Kerzenflamme legte sich quer, verlosch zu einem kümmerlichen blauen Glosen, spuckte und stotterte, –

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