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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Katastrophe erwuchs, die die Heiligenstädter Kirche einst verschlingen würde.
    »Aber sie ist doch gar nicht untergegangen«, hatte sie gesagt.
    »Ich weiß«, erwiderte Cyprian. »Aber nur ganz knapp nicht. Und außerdem sind viele Häuser in Heiligenstadt, Hütteldorf und Penzing überschwemmt worden, und es sind so viele Leute ertrunken, dass die Leichen noch in Pressburg angeschwemmt wurden. Daher haben alle geglaubt, der Untergang der Kirche sei gekommen, und es hat Monate gedauert, bis sich die Bewohner von Heiligenstadt wieder zurückwagten. Manche sind bis heute nicht zurückgekehrt.«
    »Hat jemand die schwarzen Fische gesehen, die mit den feurigen Augen?«
    Cyprian zuckte mit den Schultern.
    »Und die zu Stein erstarrte böse Frau?«
    »Agnes, es war doch nur eine normale Überschwemmung. Sie war noch nicht mal an Pfingsten. Wenn der schwarze See die Kirche verschlingt, wird es an einem Pfingstsonntag sein.«
    »Erzähl mir die Geschichte noch mal!«
    Die Geschichte war diese: wo heute Wien und die Nachbargemeinden lagen, hatte sich in heidnischen Zeiten eine große Ansiedlung befunden, die sich um ein wichtiges Heiligtum gebildet hatte – eine Quelle, in der die Heiden eine Gottheit sahen, die sie anbeteten und die von einem großen Stein geschützt wurde. Der heilige Severin ließ die Quelle zuschütten und den Stein umstürzen, obwohl ihn die Heiden anflehten, das Heiligtum unversehrt zu lassen; sie würden auch ohne diesen Frevel zu dem neuen Glauben übertreten, den der Missionar mitgebracht hatte. Severin, der um die Macht von Symbolen wusste, verschloss sich den Bitten und ließ auf den Ruinen des Heiligtums eine christliche Kirche errichten.
    Doch die Quelle sprudelte weiter – unterirdisch und in den Köpfen der Bekehrten. Ohne es zu wollen, hatte der heilige Severin ein viel mächtigeres Symbol geschaffen, eines, das vom Lauf der Zeiten, von Feuern, Kriegen und Erdbeben verschont bleiben würde, weil es sich in den Köpfen und Herzen der Menschen befand. Die Quelle bildete einen riesigen schwarzen See, in dem schwarze Fische schwammen, deren feurige Augen direkt bis in die Hölle zu blicken schienen.
    »Hinter dem Altar der Kirche gab es eine verschlossene Tür, die zu dem schwarzen See hinabführte«, sagte Cyprian.»Nur der Pfarrer besaß den Schlüssel dafür. Aber eines Tages vergaß er, die Tür abzuschließen. Während des Gottesdienstes bemerkte eine reiche Frau diesen Umstand, und da sie neugierig war und die Messe sie langweilte, schlich sie sich zu der Tür und schlüpfte hindurch, als der Pfarrer zur Wandlung anhob und die Gemeinde die Köpfe senkte, um zu beten.«
    »Der schwarze See war da!«, flüsterte Agnes.
    »Der schwarze See war da. Und es war ein schwarzes Boot da, das an seinem Ufer lag. Die Frau stieg hinein und fuhr über den See; doch nach eine Weile wurde es ihr unheimlich, die schwarzen Fische kamen ihrem Boot immer näher und starrten sie an, und sie ruderte zurück zum Ufer, um auszusteigen.«
    »Sie konnte das Boot nicht mehr verlassen«, sagte Agnes. Ihre Augen glänzten. »Sie war verflucht.«
    »Erzähl ich die Geschichte oder du?«, fragte Cyprian, doch er lächelte.
    »Die böse Frau begann zu schreien«, sagte Agnes. »So: IIIIIIIIIIEEH!«
    Cyprian hielt sich die Ohren zu. Er sah sich um. Gleich würde Agnes’ Kinderfrau zur Tür hereinkommen und eine Strafpredigt austeilen, doch ohne dass Cyprian es wusste, erhielt die Kinderfrau in diesem Moment selbst eine Strafpredigt wegen irgendeiner Verfehlung, die Theresia Wiegant zu Ohren gekommen war. Die beiden Kinder waren für den Moment ohne Aufsicht.
    »Der Priester und die Gemeinde hörten die Schreie. Sie starrten sich an. Jeder wusste, was der andere dachte: nun passiert es – der schwarze See verschlingt uns alle! Als nach einer Weile immer noch nichts geschehen war und die Schreie immer schwächer wurden, fasste der Priester Mut. Er hob die Hostie hoch und stieg die lange Treppe hinunter, gefolgt von der Gemeinde. Sie beteten und sangen laut …«
    »… doch es war zu spät …«
    Agnes und Cyprian sahen sich an. Cyprian hatte die Geschichte bestimmt schon fünfmal erzählt. Die Kinder lachten sich an.
    »SIE WAR ZU STEIN ERSTARRT!«, schrien beide gleichzeitig. »AAAAAAH!«
    Cyprian erstarrte mit einem schrecklichen Gesichtsausdruck. Agnes stupste ihn an der Nase, in die Seite, versuchte ihn zu schubsen, doch Cyprian, dessen Mundwinkel zuckten, verharrte in seiner Versteinerung. Nur seine Augen

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