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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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würde als Cyprian Khlesl. Es schien vorbestimmt gewesen zu sein; so vorbestimmt, dass sie nie klar darüber nachgedacht hatte, was sie für ihn empfand. Es war so klar, dass sie nicht einmal mit ihren Eltern darüber gesprochen hatte, und dass ihre Eltern ebenfalls nie darauf zu sprechen gekommen waren, hatte ihr den Eindruck vermittelt, dass sie es genauso sahen wie Agnes. Und jetzt … wie konnten ihr Vater und ihre Mutter auch nur im Entferntesten der Meinung sein, dass es nicht Cyprian war, für den sie bestimmt war? Cyprian, der stets zur Stelle gewesen war, wenn sie in Schwierigkeiten steckte, von der Sache mit der festgefrorenen Zunge über den Ausflug in die Katakomben unterhalb der Heiligenstädter Kirche und über weitere ungezählte Episoden hinweg bis letztens, als er den Pestkranken gemimt hatte, um sie vor den protestantischen Schlägern zu retten? Es konnte ihnen doch nicht egal sein, was er in all den Jahren für Agnes getan hatte! Abgesehen davon, dass Niklas und Theresia Wiegant die meisten Vorfälle gar nicht bekannt waren, weil Agnes nie die Notwendigkeit gesehen hatte, sie darüber zu informieren. Cyprian war ihr beigesprungen und hatte sie gerettet, und das hatte genügt.
    Sie war nicht naiv – sie wusste, dass die Reihenfolge normalerweise umgekehrt war: die Heirat kam zuerst, und mit der Zeit kam auch die Liebe oder wenigstens Zuneigung – oder zumindest Gleichgültigkeit und das gemeinsame Streben nach Vermehrung des Gewinns, wenn schon nichts anderes. Umso heftiger wünschte sie sich, dass sich an ihnen die Ausnahme von der Regel beweisen sollte. Tief in ihrem Herzen ahnte sie, dass auch bei der Verbindung ihrer Eltern die Emotion eine größere Rolle gespielt hatte als die Berechnung; Niklas Wiegant war der Erbe eines schon zu Zeiten seines Großvaters erfolgreichen Handelshauses gewesen, Theresia die dritte Tochter eines weitaus weniger wohlhabenden Grundbesitzers – wenn es stimmte, dass nach der einen Fehlgeburt die Kinder ausgeblieben waren, wäre es ein Leichtes für Niklas gewesen, seine Frau zu verstoßen. Er war jedoch bei ihr geblieben, hatte sogar durch ihre Wandlung zur verbitterten Tyrannin hindurch zu ihr gehalten, – war vielleicht nicht immer treu gewesen, Agnes’ schiere Existenz schien es zu beweisen, ha ha ha! – Und wenn das nicht auf Liebe hindeutete, was dann? Warum waren sie dann beide gegenüber Agnes’ Gefühlen so taub?
    Plötzlich sah sie die Lösung vor sich. Wenn bei der üblichen Gestaltung von Heiratsabkommen die Berechnung zuerst kam und die Gefühle sich danach zu richten hatten – warum sollte sie dann den Spieß nicht einmal umkehren und mit der kühlen Berechnung ihren Gefühlen zum Sieg verhelfen?
    Cyprians Vater, der Bäckermeister, mochte gesellschaftlich unter den Wiegants stehen, doch sein Bruder war immerhin seit ein paar Jahren Administrator der Diözese von Wiener Neustadt und neuerdings zum Hofkaplan ernannt worden, und zumindest für Agnes’ Mutter musste es von immenser Bedeutung sein, einen kirchlichen Würdenträger in die Familie zu bekommen. Für ihren Vater wiederum – wer konnte schon behaupten, mit dem Mann verschwägert zu sein, der über denBruder des Kaisers, Erzherzog Matthias, eine direkte Verbindung zum Kaiserhof hatte? Wer würde wohl zuerst Aufträge erhalten – Niklas Wiegant, der unbekannte, um den Fortbestand seiner Firma kämpfende Kaufmann; oder Niklas Wiegant, der Hoflieferant? Sie erinnerte sich daran, wie Cyprian sie die Treppe hinaufgeführt hatte, aus den Katakomben hinaus und zurück ans Licht, und empfand plötzlich das gleiche Gefühl wie damals für ihn, nur viel überwältigender und heftiger. Beinahe hätte sie sich umgewandt und wäre nicht erstaunt gewesen, ihn hinter sich stehen zu sehen, so nahe fühlte sie sich ihm – doch dieses eine Mal war sie auf sich gestellt und würde es bleiben, würde ihre eigene Entscheidung fällen.
    Agnes stand auf. Der junge Pfarrer wich zurück. Agnes deutete auf die Tür hinter dem Altar. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Darf ich die alten Gräber sehen, Hochwürden?«
    Der Adamsapfel des jungen Pfarrers zuckte. »Was für Gräber?«
    »Die in den Katakomben hinter dieser Tür. Die der römischen Heiden.«
    Der Blick des Pfarrers zuckte zwischen ihr und der Tür hin und her. Seine Lippen arbeiteten, während sein Gehirn verzweifelt nach einem Ausweg suchte, um ihr keine ablehnende Antwort geben zu müssen. Sein Gehirn versagte. »Es gibt hier

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