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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Agnes stierte sie an und vergaß, weiterzuschreien – und erholte sich wieder. Die Dunkelheit außerhalb der Flamme war vollkommen. Agnes krallte ihre Zehen in die Schuhe und wimmerte. Ihre Blase verkrampfte sich und ließ ein paar Tropfen warmer Flüssigkeit an ihren Beinen hinabrinnen, die sie aufschreckten wie Finger, die daran entlangfuhren. »Nein«, flüsterte sie, »nein, nein, nein.« Ein Geräusch erklang, das noch schlimmer war als das Dröhnen der zugeschlagenen Tür: das Herumdrehen eines Schlüssels im Schloss.
    Sie war eingesperrt.
    Das Echo des umgedrehten Schlüssels kam aus der Tiefe zurück und kreischte wie die Frau, die im See zu Stein erstarrte.
    Agnes wich zurück, ohne dass es ihr bewusst war. Ihr Atem pfiff in der Dunkelheit. Sie hatte zuletzt zur Treppe hinaufgestarrt – ihr Rückzug führte sie nun tiefer in den Ganghinein. Die Finger der linken Hand fuhren an der Wand entlang; die Rechte umklammerte die Unschlittkerze, dass diese sich zu verbiegen begann. Die Finger der Linken trafen auf Rillen und Erhebungen, die wie eine Landschaft wirkten. Unwillkürlich leuchtete sie die Wand mit der Kerze an.
    Eine Fratze sprang ihr entgegen.
    Sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken an die gegenüberliegende Wand prallte. Aus der einen Fratze wurden drei; drei Mäuler voller Zähne, drei Paare geblähter Nüstern, drei böse Augenpaare, gesträubtes Fell, mächtige Tatzen, ein schuppiger Schwanz – drei Köpfe von Monstren auf dem Körper eines Hundes, der groß war wie der eines Stieres. Mit dem flackernden Kerzenlicht schienen die Köpfe hin- und herzupendeln und die Augen zu funkeln.
    Agnes kreischte und wirbelte herum, floh in den Gang hinein. Die Kerzenflamme kämpfte ums Überleben. Die Wände des Gangs verbreiterten sich jäh zu einer Höhle, zu einer gewaltigen Kammer voller wuchtiger Schatten und dunklen Nischen, zu riesigen Sarkophagen, deren Deckel herabgefallen waren und aus denen vom Alter dünn gewordene Stoffbahnen hingen wie uralte Spinnweben und sich ihr entgegenzustrecken schienen. Die Nischen waren Augenhöhlen, Mäuler, Schlünde, in denen etwas war, das sich nicht genau erkennen ließ, etwas, das sie zucken und herausquellen und über den Boden auf sich zukriechen sah. Jenseits der Höhle ging der Gang weiter, absolute Finsternis, der Gestank von Moder und Zersetzung, die Schwärze einer seit Jahrhunderten lichtlosen Dunkelheit, ein vergessener Eingang zur Hölle, über dem das Wort von der vergeblichen Hoffnung nicht stand, weil niemand in seinem Angesicht auch nur einen Gedanken an Hoffnung verschwendet hätte. Ihr Fuß stieß an etwas. Sie sah hinunter.
    Sie hatte noch nie einen Totenschädel gesehen, außer auf Fresken oder Reliefs. Sie war nicht vorbereitet auf den bohrenden Blick aus den schwarzen Augenhöhlen, auf die gebleckten Zähne, auf den braun verfärbten Knochen. Ihr Herz setzte aus. Ihr Fuß zuckte. Der Schädel rollte auf die Seite, beschrieb einen kleinen Halbkreis und stieß an ihren anderen Fuß, das Gesicht nach oben, die Augenhöhlen vorwurfsvoll starrend.  
    Agnes schrie auf. Ihr Körper reagierte, weil ihr Geist wie gelähmt war – ihr Fuß trat zu und schoss den Schädel davon. Von der Bewegung verlosch die Kerze endgültig. In der über sie herfallenden Dunkelheit hörte sie den Schädel an die Wand prallen und zersplittern, hörte das Klickern der Knochensplitter, das sich ihr zu nähern schien, so als ob all die Bruchteile zu ihr hinkröchen, um sie für ihr Sakrileg zu bestrafen.
    Sie stand stocksteif. Ihre Finger krallten sich in die Kerze, zerbrachen sie, das heiße Unschlitt schwappte heraus und verbrannte sie, ohne dass sie es merkte. Sie wollte kreischen, aber sie konnte nicht; sie wollte um Hilfe rufen, aber heraus kam nur ein lautloses Keuchen. Sie hörte das Glucksen des schwarzen Sees und die Bewegungen der schwarzen Fische aus dem Eingang zur Hölle heraustönen, sie hörte das Stöhnen der versteinerten Frau ( Komm zu mir, Kind, hilf mir, Kind, komm zu mir, komm, komm, komm ); sie kniff die Augen zusammen und sah das Funkeln der Feueraugen hinter ihren Lidern, vernahm das Flehen der im Stein gefangenen Seele, die um Erlösung bat und gleichzeitig eine weitere Seele ins Verderben locken wollte, die flüsterte und ächzte und weinte und drohte, und erstarrte selbst zu Stein, erstarrte, erstarrte, verlosch.
    »Kann ich dir helfen, meine Tochter?«, fragte der Pfarrer, der von irgendwoher doch den Mut gefunden hatte, die vor dem Altar

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