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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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ein Monstrum heulte an ihm vorbei und brachte die Treppe zum Schwingen, und er war allein. Die Treppenstufen herab polterte das Dröhnen der Flucht des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs und schallte sein gellendes Geheul. In die übriggebliebenen Düfte nach mangelnder Körperhygiene und schnellem Koitus in einer überheizten Küche mischte sich der Gestank von Angst und einer schwachen Blase.
    Pater Xavier stieß sich von der Wand ab, gegen die der an ihm vorbeirennende Kaiser ihn geschoben hatte. Er hob eine Hand vor seine Augen. Sie zitterte. Er starrte sie an, bis das Zittern verebbte. Dann verlangsamte er seinen Atem, bis auch aus diesem das Zittern geschwunden war. Zuletzt stand er ganz still. Wer ihn gesehen hätte, hätte niemals vermutet, dass sich hinter seiner Stirn die Gedanken jagten. Das Heulen Kaiser Rudolfs verklang wie die Schritte, die es davontrugen, in den Tiefen des Königspalastes.
    Pater Xavier ballte eine Faust und schlug damit gegen die Wand des Treppenhauses. Einmal, zweimal – beim dritten Mal platzten die Knöchel auf, beim vierten Mal blieben vier rote, sternförmig ausgefranste Flecke an der Wand. Der Dominikaner öffnete die Faust, betrachtete die Blutspuren an der Wand und spürte dem Schmerz nach, der das Kreischen seiner Gedanken in seinem Schädel zum Stillstand brachte. Langsam hob er die Hand und leckte das Blut vom Handrücken.
    Dann drehte er sich um und stieg die Treppe hoch, seinem ehemaligen Beichtkind hinterher.
    15
    Der Spur des Kaisers war leicht zu folgen; der Königspalast war ein Ameisenhaufen, und Rudolf hatte eine Fährte hindurchgezogen wie ein Kind, das seinen Stock hineinsticht. Dienstboten, Beamte und Höflinge standen beieinander, machten schockierte Gesichter und starrten den Gang hinunter oder in den Raum hinein, den Rudolf als Fluchtweg genommen hatte.
    Pater Xavier schritt durch ihre Verwirrung hindurch mit aller königlichen Grazie, die der Habit seiner schlanken Gestalt verlieh. Vor einer verschlossenen Tür endete die ungleiche Verfolgungsjagd schließlich; mindestens zwei Dutzend Männer in allen Arten von teurer Kleidung standen davor und redeten ratlos durcheinander. Pater Xavier hielt sich am Rand der Menge, nickte bescheiden, wenn Blicke ihn trafen, und gab sich den Anschein eines demütigen Mönchs, der zufällig am Schauplatz eines Unfalls eintrifft, nicht weiß, worum es geht, aber voller Mitleid und fest im Glauben für alle darin Verwickelten zu beten beginnt. Immer mehr Menschen trafen ein, blockierten den Gang und steigerten die Verwirrung. Hinter der Tür drang kein Laut hervor, und auch diejenigen, die ihre Ohren an das Türblatt drückten, schüttelten die Köpfe und machten besorgte Gesichter.
    Zuletzt arbeitete sich ein kleiner, weißhaariger Mann durch die Ansammlung. Er sah sich um. Weiter vorn begegnete ein fülliger Kerl, der nicht viel jünger sein konnte, seinem suchenden Blick und winkte dem Neuankömmling zu.
    »Gut, dass Sie da sind!«, sagte der Dicke. Pater Xaviers auf Dissonanzen trainierte Ohren hörten sofort das nicht laut Gesagte heraus: Wo waren Sie die ganze Zeit, zum Teufel?
    »Ich bin erleichtert, dass Sie hier das Heft in die Hand genommen haben«, erwiderte der Neuankömmling und ließ es zu, dass Pater Xavier ebenfalls zwischen den Worten hörenkonnte: Wenn ich so wenig zu tun hätte wie Sie, wäre ich auch als Erster zur Stelle gewesen! »Was ist passiert?«
    »Es heißt, Seine allerchristlichste Majestät sei in höchster Erregung durch die Räume gelaufen und habe sich schließlich hier verbarrikadiert.«
    »Natürlich in seiner Sammlung.«
    »Wo sonst, mein lieber Lobkowicz?«
    Pater Xavier fing einen Blick auf, den die beiden Männer sich zuwarfen. Mittlerweile hatte die Menge ihnen Platz gemacht, so dass beide direkt vor der versperrten Tür standen. Der kleine Mann – Lobkowicz – probierte die Klinke.
    »Majestät?«, rief er. »Majestät, ich bin es, der Oberstlandrichter. Reichsbaron Rozmberka ist bei mir, und viele andere Leute, die um Majestät Wohlergehen besorgt sind. Es besteht keine Gefahr, Majestät.«
    Die Tür gab keine Antwort, und was immer an Räumen sich dahinter verbarg, blieb ebenfalls stumm. Lobkowicz ließ die Klinke los und ballte die Faust. »Hat denn keiner eine Ahnung, was ihm zugestoßen ist? Die ganze letzte Zeit über war er doch so ausgeglichen … Irgendwas muss passiert sein.« Der Blick des Oberstlandrichters streifte Pater Xavier und wanderte arglos

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