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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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würde er sogar wirklich nach den beiden Männern suchen, die er als Alibi angegeben hatte, und mit ihnen in Disput treten. In ein paar Tagen würden die Wachen sein Gesicht kennen und ihn ohne Nachfragen durchlassen; in ein paar weiteren Tagen würden sie sein Gesicht schon wieder halb vergessen haben, und wenn sie in einem Archiv oder einer Bibliothek auf ihnstießen, dann würde seine Anwesenheit ihnen nicht illegal erscheinen und sie nicht im Traum darauf kommen, dass ein Spion in eigener Sache ihnen lächelnd zunickte.
    Mit diesen Gedanken bog Pater Xavier um die Wendel einer engen Treppe, die nach unten und zur Burgmauer hin führte und die seiner Erfahrung nach verkommen und dunkel genug war, um zu den Gesindequartieren zu führen. Die Dienstboten kamen überall hin und waren am leichtesten von allen durch den dominikanischen Habit zu beeindrucken; unter ihnen würde er seine ersten Verbündeten suchen, so wie er es in Wien getan hatte, um auch über diejenigen Sünden seines Beichtkindes informiert zu sein, die dieses nicht gestand. Als Erzherzog hatte Rudolf einen Hang zu nicht standesgemäßem Fleisch gezeigt; keine Dienstmagd, ob alt oder jung, war vor ihm sicher gewesen. Pater Xavier gestattete sich ein verächtliches Lächeln in der Finsternis und Einsamkeit der langen, gewendelten Treppe. Sein Mund war immer noch verzogen, als er genau auf Höhe der kleinen, schießschartenähnlichen Fensteröffnung in einen sehr dicken Mann hineinlief, der ihm entgegenkam.
    Der Aufprall hüllte Pater Xavier in Schweiß-, Fisch- und Bratenduft und in die glitschig-klebrige Berührung von zu viel Brokatstickereien auf einer monumentalen Menge Seide. Er blieb stehen, während der dicke Mann einen erschrockenen Schritt zurücktrat und Pater Xavier das Weiteratmen ermöglichte.
    Der Mann war Leviathans Zwillingsbruder – größer als Pater Xavier, prall, gedunsen, ein Speckbulle mit hektisch roten Apfelbacken und einem tonnenförmigen Leib. Sein Mund stand vor Anstrengung und vor Überraschung offen und ließ Zähne sehen, die der Dominikanermönch, der über ein tadelloses Gebiss verfügte, lieber nicht erblickt hätte. Über den Mund hing das fleischige Ende einer langen, gebogenen Nase und imitierte die Unterlippe, die ihrerseits feucht undmit einem tiefen Grübchen in den blonden Vollbart hing. Wäre das Erstaunen über das unerwartete Zusammentreffen nicht gewesen, wären die Augen vermutlich halb in Speckwülsten versteckt gewesen – so jedoch waren sie weit aufgerissen. In dem hässlichen Gesicht stellte ihr makelloses Blau, von langen Wimpern gerahmt und vom Licht aus der Fensteröffnung perfekt beleuchtet, das einzig Schöne dar. Die Augen zuckten – wie bei den Ketzern, deren ausgekugelte Arme schlaff an ihren Seiten herabhingen, während sie stöhnten, der protestantischen Irrlehre abgeschworen zu haben, doch ihre Blicke verrieten sie. Pater Xavier starrte in die blauen Augen seines Gegenübers, und mit dem Schock, der gleichzeitig mit seinem in diesen Augen hochschoss und den seinen widerspiegelte, erkannte er die permanente Schuld, die stetige Angst und das ewige schlechte Gewissen wieder. Die Augen waren so geblieben, wie Pater Xavier sie in Erinnerung hatte; das Gesicht war zu einer unkenntlichen Fratze maßloser Ausschweifung geworden. Der Alchimist hatte die Transmutation an sich selbst vollzogen, und wie immer war lediglich der Dreck mehr geworden und das Gold ausgeblieben.
    Pater Xavier senkte den Kopf, doch es war zu spät. Wie hatte er glauben können, dass der lächerliche Bart ihn auch nur eine Sekunde vor der Entdeckung schützen würde? Kaiser Rudolf hatte ihn immer mit dem Herzen angesehen, nicht mit den Augen, so wie der Hase nicht das dreieckige, schlaue Gesicht des Fuchses sah, sondern zwei Reihen scharfer Reißzähne. Pater Xaviers Herz schlug so heftig, dass er einen Augenblick lang keine Luft bekam. In seinem Hirn war völlige Leere. Was sollte er tun? Der Bettler hatte ihn gewarnt, seine eigene Erinnerung hatte ihn gewarnt: Kaiser Rudolf, der Freund der Dienstmägde. Warum hätte er hier in Prag, in seinem eigenen Reich, in seiner eigenen Machtfülle, seine Gewohnheiten ändern sollen?
    Rudolf von Habsburg stieß ein Grunzen aus. Die Apfelbacken hatten sich in teigig-schlaffe Hautsäcke verwandelt. Von der Unterlippe troff ein Speichelfaden und verhedderte sich im Kinnbart. Dann fiel ein halbes Haus auf Pater Xavier, stieß ihn beiseite und quetschte ihn an die Wand des Treppenhauses,

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